von fleisspelz » Sa 18 Okt, 2014 23:29
Vorausschicken möchte ich die Vermutung, dass sich diese Diskussion mit der sogenannten bildenden Kunst auseinandersetzt. Kunst bezeichnet ja auch Schauspiel, Musizieren oder die Schriftstellerei. Außerdem bezeichnen wir auch Handwerker mit besonderer Qualität als Künstler. In der Umkehrung "das ist schliesslich keine Kunst" wird offenbar, was wir gemeinhin als Kunst begreifen, oder eben nicht. Der Zugang zu "Kunst" fällt vielen derzeit bei Musik oder Schriftstellerei leichter als bei Skulpturen und Gemälden, bei Götz George wissen viele eher, weshalb man ihn Künstler nennt, als bei Georg Baselitz.
Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Eingebung gegründet ist. So sprechen wir zum Beispiel auch von der Heilkunst, oder von der Kunst der freien Rede. Im engeren Sinne werden mit dem Wort Kunst Ergebnisse zielgerichteter menschlicher Tätigkeit benannt, die sich nicht oder zumindest nicht eindeutig durch Funktionen festlegen lassen. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt und immer das Ergebnis eines schöpferischen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selbst sein. Ausübende der Kunst im engeren Sinne werden Künstler genannt.
Zur bildenden Kunst gehören Malerei, Grafik, Bildhauerei und Architektur. Aber auch Fotografie, Comix, Graffitti oder eben in unserem Fall über marketingstrategische Designentwicklung und rein zweckbedingte Gestaltung hinausgehende Motorradschöpfungen. Ich setze voraus, dass wir uns speziell über bildende Kunst unterhalten.
Eine weitere Differenzierung scheint mir hilfreich. Ich unterscheide zwischen Kunsthandwerk (oder auch Handwerkskunst), Kunstmarkt, Gestaltung (oder auch Dekoration) und Kunst.
Kunsthandwerk ist messbar und vergleichbar. So gibt es zum Beispiel besonders kunstfertige Herrgottsschnitzer, denen man durchaus schöpferische Kraft nicht absprechen kann. In der Malerei gibt es objektiv messbare handwerkliche Qualitäten, wie die Pinselführung, die Bildaufteilung (zum Beispiel dem goldenen Schnitt entsprechend) oder die Farbkomposition. Nun gibt es unglaublich langweilige Bilder, bei denen alle genannten vergleichbaren Kriterien meisterlich ausgeführt wurden, und andererseits gibt es Werke, bei denen zunächst kein messbares Kriterium besonders hochwertig angefertigt worden ist, die aber dennoch in der Lage sind, uns tief innen zu berühren. Es gibt also augenscheinlich Kriterien, die nicht messbar oder evaluierbar sind. Das macht den Umgang mit Kunst so schwer für Menschen, die rationale und analytische Herangehensweisen gewohnt sind.
Kunstmarkt ist extrem wichtig, wenn über Kunst und deren Wert diskutiert wird. Kunst hat mit Kunstmarkt etwa so viel zu tun, wie Architektur mit Immobilienspekulationen oder wie eine indische Näherin mit Yves Saint Laurent. Der Kunstmarkt ist wichtig für Künstler und häufig für Kunst nicht förderlich.
Es gab einen Möbelhausbesitzer, der mir gesagt hat: "jede Sonnenblume, die Du malst kaufe ich Dir ab, Justus." Ich wusste aber nach meinem dritten Sonnenblumenbild alles, was ich über Sonnenblumen jemals wissen wollte. Hätte ich auf den Markt gehört, wäre ich heute ein anerkannter Sonnenblumenmaler und zahlreiche unverkaufte Portraits wären nicht entstanden. Für den schöpferischen Prozess bedeutet das genau garnichts, für den Kunstmarkt fast alles.
Gestaltung oder Dekoration nenne ich Kunst immer dann, wenn sie sich selbst und dem Markt genügt. Ich rede jetzt von Sparkassengemälden, und Stadtdirektorenskulpturen ohne Inhalt, ohne Aussage und ohne einen tieferen Zweck als dem, niemandem weh zu tun, um möglichst gut vermarktbar zu bleiben. Seit Piet Mondrian, Jackson Pollock und Yves Klein wissen wir eigentlich alles über Abstraktion und Dekonstruktion. Wer also seither bunte Dreiecke aneinanderreiht, oder Farbstreifen, der schafft nichts neues, nichts aufregendes, nichts nie dagewesenes und hat in der Regel keine Aussage, egal in wie viele Worte er diese fasst.
Kust hat etwas nie dagewesenes, das uns einen neuen Sichtwinkel verschafft, oder sie hat eine Aussage, oder sie bildet etwas ab, oder bewegt etwas beim Betrachter, löst etwas bei ihm aus. Kunst ist nur in Freiheit möglich und Kunst kann Freiheiten schaffen. Das gilt auch für Bilder von Gefangenen, die sich eine Freiheit nehmen und damit eine schaffen.
Eine oft zitierte Fehleinschätzung beschäftigt sich damit, Rembrandt van Rijn mit Joseph Beuys zu vergleichen. Tatsächlich hat Beuys in jungen Jahren bewiesen, dass er realitätsgetreu zeichnen kann, während wir vom älteren Rembrandt belegter Weise nur wissen, dass er eine Malerwerkstatt geleitet hat, die nach seinen Vorgaben Gemälde anfertigte, bei denen er zum Teil nicht einmal einen Pinselstrich selbst ausgeführt hatte. Dennoch gilt vielen Rembrandt als echter Künstler und Beuys als selbstverliebter Spinner.
Kunst hatte zu Rembrandts Zeiten und davor noch eine Mitte. Es ging um möglichst realitätsnahe Abbildung und um herrschaftszensierte Darstellung. Portraits und Schlachtengemälde wurden zwischenzeitlich weitgehend durch die Fotographie ersetzt. Das hatte zur Folge, dass sie seither näher an der Realität waren, weil sie nicht mehr einem Auftragsgeber gefallen mussten, damit dieser die Rechnung auch begleicht und auch ein Stückchen demokratischer wurden. Andererseits gaben die Herrschenden weniger bildende Kunst in Auftrag, was die bildenden Künstler dazu nötigte, sich neue Aufgabengebiete zu suchen.
Kunst hat keine Aufgabe.
Es gibt kein Evaluationskriterium.
Die Künstler sind sich selbst überlassen und viele überlassen aus diesem Grund den Betrachter sich selbst.
Für mich ist Kunst eine Form der Kommunikation.
Ich habe weder Zeit, noch Gelegenheit, mit allen persönlich zu sprechen, die sich ein Bild von mir ansehen, noch kann ich mit allen persönlich sprechen, deren Werke ich betrachte.
Und wie in der Kommunikation gibt es alles:
Der eine hält mir quälend langweilige Monologe, der andere rattert in atemberaubender Geschwindigkeit technische Daten herunter. Ein nächster führt eine spritzige unterhaltsame Plauderei mit mir, von einem vierten erfahre ich brisante Neuigkeiten, irgendeiner faselt lauter wirres Zeug und eine geschwätzige Oberlehrernatur will mich eines besseren belehren. Manch einer, der mir etwas erzählt irrt sich bei den Fakten, oder zieht völlig andere Schlüsse daraus als ich. Vieles davon ist Geschwafel.
Und dann unterhalte ich mich mit einem Werk, verbringe einen vergnügten, fröhlichen und unterhaltsamen Nachmittag damit, während dem ich noch dazu was lernen durfte. Dann ist es für mich Kunst.
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