Puyloubier - Salavas, 16. AugustWir wachen auf und organisieren ein Frühstück. Das ist bereits der zweite Morgen mit gedrückter Stimmung, eigentlich brauche ich sowas im Urlaub gar nicht. Da will ich überbordende Freude, pralles Leben, Erholung und Spass. Im Moment nervt vor Allem die Unsicherheit.
Tina möchte bis gegen 11:00 Uhr warten, ob der ADAC vielleicht doch zurückruft. Ich melde Bedenken an:
"Wir haben etwa 180 km Strecke bis Salavas an der Ardèche, das sind vier Stunden. Wenn wir noch was von der Ardèche haben wollen und noch Mal die Füße drinnen baumeln lassen wollen, dann sollten wir bis gegen 16:00 Uhr dort sein. Wenn wir um 11:00 Uhr die Adresse bekommen, wo Julians Motorrad ist und etwas über eine Stunde brauchen, um Julian dort hin zu fahren, dann treffen wir pünktlich zur Mittagpause in der Werkstatt ein. Die Reparatur beginnt dann also gegen 14:00 Uhr und ist um 14:30 Uhr abgeschlossen. Dann fahren wir eine Stunde zurück zum Campingplatz, um sein Gepäck ab zu holen und haben unsere Motorräder um 16:00 Uhr fertig gepackt. Selbst wenn wir für knapp über 100 Euro mit dem Taxi zur Werkstatt fahren, und für das Gepäck nicht zurück kommen müssen, würden wir besser noch vor der Mittagspause bei der dortigen Werkstatt eintreffen. Ich hielte es für sinnvoller schon jetzt die Adresse der Werkstatt in Manosque heraus zu finden, dann könnten wir um 12:00 Uhr in Manosque fertig sein, um13:30 Uhr hier in Puyloubier alles gepackt haben und wären gegen 17:30 Uhr an der Ardèche, dann wäre der Tag nicht völlig spaßfrei."
Tina ruft beim ADAC an.
Nach gestoppt 12 Minuten wird sie verbunden. Tina gibt ihre Mitgliedsnummer durch und wartet brav und geduldig ab, bis die Dame sich eingelesen hat.
"Was kann ich denn für sie tun, Frau Roos?"
"Ich möchte gerne wissen, wo sie das Motorrad hingeschleppt haben, um den Reifen zu flicken, damit wir zeitnah dort hin können, weil wir unsere erste Etappe der Heimreise antreten wollen."
"Das weiss ich nicht, wo das Motorrad ist."
"Dann sind sie doch bitte so freundlich und bringen das in Erfahrung und informieren uns. Wir sitzen wie gesagt wegen unserer Heimreise bereits auf glühenden Kohlen."
"Ja, dann versuche ich das in Erfahrung zu bringen und rufe zurück."
"Wann darf ich mit Ihrem Rückruf rechnen?"
"Ich kann nicht sagen, wie lang ich brauche, um das in Erfahrung zu bringen, aber ich rufe zurück, sobald ich das in Erfahrung gebracht habe."
"Bitte missverstehen sie mich nicht, ich möchte nicht unhöflich sein, aber es wäre für uns wegen der anstehenden Heimreise sehr hilfreich, wenn wir die Information, bei welcher Werkstatt sich das Motorrad befindet so früh wie möglich bekämen. Schliesslich müssen wir dort ja auch noch mit dem Gepäck hinfahren und es handelt sich ja nur um eine Reifenpanne, die repariert werden soll."
"Ich rufe sie am Vormittag noch zurück."
"Danke schön, ich verlass mich jetzt drauf."
"Ja selbstverständlich. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?"
"Nein, wir machen das so, wie besprochen, vielen Dank, bis später."
"Auf wiederhören."
Es ist etwa 9:30 Uhr und ich sehe einen bedrohlichen gelben Engel, der sich gelangweilt ein paar kurvenreiche Strässchen aus der pitoresken südfranzösischen Landschaft reisst und zwischen seinen gewaltigen, ignoranten Zähnen zermahlt ...
Wir bauen unsere Zelte ab, verstauen unser Hab und Gut, packen alles sorgfältig und gewissenhaft zusammen, genehmigen uns noch einen Kaffee an der Campingplatz-Rezeption unter dem Maulbeerbaum, den wir Napoleon persönlich zu verdanken haben, kontrollieren noch Mal das Öl, putzen die Brillen und Visiere, packen doch noch Mal die Regenjacke in den Tankrucksack und dafür die andere Jacke in den Seitenwagen, entfernen die Fliegen von der Verkleidungsscheibe, suchen auf der Karte schnellere Alternativrouten statt der landschaftlich schönen Routen, wegen denen wir diese Reise eigentlich machen, heraus, googlen nach Reifendiensten in Manosque oder Moustiers-Sainte-Marie und stellen fest, dass die Garage Honorat in Moustiers-Sainte-Marie, zu der Julians Motorrad vom Chef persönlich geschleppt wurde ein ausgewiesener Reifenservice ist ...
Es ist kurz vor elf.
Meine Geduld ist am Ende. Das ist jetzt schon der zweieinhalbte Urlaubstag, der uns durch die Unbeweglichkeit des ADAC versaut wird, und jetzt erfahre ich, dass der Abschlepper selbst uns sicherlich weiter helfen gekonnt hätte. Spätestens heute hätte ein Reifenservice, der Teil eines Händlernetzwerks ist einen Reifen und einen Schlauch organisiert haben können, der könnte jetzt bereits eingebaut sein, oder am Thresen bereitliegen, damit wir ihn halt selbst einbauen. Wir könnten jetzt bereits von Moustiers-Sainte-Marie aus auf dem Weg zum Campingplatz zurück sein, mit einem reparierten Seitenwagenrad ...
Tina ruft nochmal beim ADAC an.
Warteschleife
"Bitte haben sie ein wenig Geduld, der nächste Mitarbeiter ist unmittelbar für sie da. Ihr Anruf ist sehr wichtig für uns."
Dann Beethoven in 90er Jahre Klingeltonqualität, also eher etwas, das nach "bet-hoffen" klingt. Ein Omen?
"Guten Tag ADAC Pannenhilfe Frankreich, was kann ich für sie tun?"
Dann folgt das unvermeidbare Mitgliedsnummer-Bitte-haben-sie etwas-Geduld-damit-ich-mich-einlesen-kann-was kann-ich-für-sie-tun-Ritual.
"Können sie mir bitte sagen, wo das Motorrad ist?"
"Das steht noch in Moustiers-Sainte-Marie, wo es am Montag hingeschleppt wurde."
"Ja aber, das sollte doch nach Manosque, um repariert werden zu können?"
"Ja, aber wir haben noch keinen Betrieb ausfindig machen können, der das Motorrad reparieren kann."
"Ich möchte ja nicht ungeduldig wirken, aber unsere Rückreise steht an, wie ich schon bemerkt habe, wir sitzen auf glühenden Kohlen. Wann soll denn das Motorrad zu einer Werkstatt transportiert werden?"
"Diese Woche noch, wir müssen nur zuerst eine Werkstatt finden, bei der es instand gesetzt werden kann."
"Wie meinen Sie das: Diese Woche noch ...?"
"Wir müssen halt erst eine Werkstatt finden."
"Schon, aber ich muss auch nach Hause."
"Sie haben bereits seit gestern Abend einen Anspruch auf einen Leihwagen bis nach Hause."
"Und was passiert dann mit dem Motorrad?"
"Das wird entweder repariert, oder mit einem Sammeltransport zu Ihnen gesendet. Da kann ich ihnen aber gleich sagen, das wird zwei bis drei Wochen dauern."
"Was schlagen Sie jetzt vor, wie sie weiter machen wollen?"
"Wir versuchen einen Betrieb zu finden, wo ihr Motorrad repariert werden kann und lassen es dort hin transportieren."
"Und wie erfahre ich das?"
"Wir rufen Sie noch am Vormittag zurück."
"Ja bitte, ich verlass mich jetzt drauf."
Wir packen nochmal das Zelt aus und bürsten etwas Staub vom Boden des Innenzeltes, packen das Zelt wieder ein, sortieren das Bordwerkzeug neu, kontrollieren alle elektrischen Verbraucher an den Motorrädern, den Luftdruck, nochmal wiederholt zur Sicherheit das Öl, stellen das Motorrad nach links in den Schatten und dann doch lieber wieder nach rechts in den anderen Schatten und schieben das Gespann in den einen Schatten, studieren die Straßenkarte, füllen die Wasservorräte mit frischem, kühleren Wasser auf, bestellen noch einen Kaffee unter dem Maulbeerbaum, Tina liest ein wenig, Julian grummelt still vor sich hin. Ich höre
Ennio Morricone Musik im Hintergrund. Tumbleweeds werden über den Campingplatz geweht, ich ziehe meinen imaginären Hut tiefer:
"Wenn die um Punkt 12 nicht zurückgerufen haben, übernehme ich die Kommunikation."
"Ja gerne!" sagt Tina.
Um drei Minuten vor 12 halten Tina und ich unsere Handys in der Hand. Tina murmelt beschwörende Formeln:
"Komm ruf an, los, ruf doch bitte an, komm schon, lass mich nicht hängen, ruf an ..."
Ich warte, bis der Sekundenzeiger oben bei der 12 ankommt ...
Es kam kein Rückruf.
Auch keiner mit dem Inhalt:
"Ich hatte ihnen einen Rückruf zugesagt, leider hat sich an der Situation nichts verändert, wir sind immer noch auf der Suche nach einer Werkstatt in Südfrankreich, die in der Lage ist, einen Reifen wechseln zu können."
Habe ich eigentlich schon Mal erwähnt, dass wir nicht die Cheobs-Pyramide nach Frankreich importieren, oder eine originalgetreue Kopie von Gaudís Sagrada Familia auf dem Gipfel des Mont-Blanc errichten wollen, sondern einen Reifen wechseln?
Warteschleife.
Beet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich möchte bitte die Auskunft wo das Motorrad ist."
"Das wissen wir nicht."
"Haben Sie es verschlampt?"
"Nein natürlich nicht."
"Dann sollte es doch machbar sein, dass sie mir sagen, wo es ist."
"Ich kann das gerne in Erfahrung bringen und rufe sie zurück."
"Bitte nicht. Ich warte jetzt seit heute früh auf einen Rückruf, der nicht erfolgt ist."
"Ich kann ihnen auch nicht mehr sagen."
"Dann sind sie doch so freundlich und sagen mir, welchen Vorschlag sie für mich haben."
"Ich bitte sie um etwas Geduld, wir rufen sie zurück."
"Wann wird dieser Rückruf erfolgen?"
"Das weiss ich nicht."
"Hören Sie, wir sind im Urlaub, und der fliegt uns grade wegen einer simplen Reifenpanne um die Ohren, können si ...."
"Sie können sich ja in München über mich beschweren!" unterbricht mich Madame Aurelie vom ADAC und legt auf.
Ich warte, bis sich die schwarzen Qualmwölkchen rund um meinen Kopf verflogen haben und starte einen neuen Anlauf.
Warteschleife.
Beet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich möchte bitte die Auskunft wo das Motorrad ist."
"Das kann ich aus den Unterlagen auch nicht genau erkennen."
"Dann sollte es doch machbar sein, dass sie für mich herausfinden, wo es ist."
"Ich kann das gerne in Erfahrung bringen und rufe sie zurück."
"Das möchte ich nicht, wir warten jetzt seit heute früh auf Auskunft, und um es genau zu nehmen, seit Montag gegen 17:00 Uhr. Ich möchte jetzt, in diesem Telefonat mit ihnen gemeinsam eine tragfähige Lösung erarbeiten, wie wir die Angelegenheit zu einem guten Ende bringen können. Dazu ist im ersten Schritt zu klären, wo das Motorrad jetzt ist."
"Sie haben doch am Montag selbst entschieden, dass es in Moustiers-Sainte-Marie bleiben soll, um repariert zu werden."
"Ja, in der Tat. Das geschah, nachdem der ADAC aus Kostengründen entschieden hat, uns das Motorrad nicht, wie vorgeschlagen, zu unserem Urlaubsort zu transportieren, damit wir uns selbst um die Reparatur kümmern."
"Was hätten sie denn da auf ihrem Campingplatz machen wollen?"
"Der Campingplatzbetreiber kennt einen Reifenhändler im benachbarten Trets. Dieser wollte rumtelefonieren, um so einen Schlauch bei einem seiner Kollegen auf zu treiben und wenn möglich einen Reifen. Sobald das geschehen wäre, wäre ich auch nach Marseille gefahren, oder nach Orange oder sonstwohin, hätte die Sachen dort abgeholt und auf unserem Campingplatz selbst montiert. Das hätte auch gestern am Feiertag noch passieren können, spätestens aber heute früh. Wir könnten längst das Problem behoben haben und uns auf der Rückreise befinden."
"Besteht dieses Angebot noch?"
"Das muss ich erst erfragen. Sie können gerne mit dem Reifenhandel in Trets telefonieren, es gibt dort nur einen, und der steht im Telefonbuch. Während dessen können sie ja dann unser Motorrad hier zum Campingplatz transportieren, wenn das heute plötzlich machbar ist ..."
"Ob der Transport dann heute nocht gelingt muss ich erst in Erfahrung bringen."
"Und wie ist sicher gestellt, dass meine Frau ihren unaufschiebbaren Termin am Samstag Nachmittag in Augsburg wahrnehmen kann? Wenn das Motorrad am Donnerstag irgendwann, also realistisch betrachtet am Nachmittag repariert wird, dann kann man damit am Donnerstag Abend an der Ardèche sein, am Freitag bei Besancon, aber nicht am Samstag Nachmittag in Augsburg. Zudem müsste ich klären, ob ich unsere Unterkünfte erneut um einen weiteren Tag verschieben kann, das ist nicht sicher."
"Ihrer Frau steht ja jetzt bereits ein Mietwagen zu."
"Und was passiert mit dem Motorrad?"
"Das versuchen wir, zu reparieren. Dafür haben wir drei Werktage Zeit. Der Schaden wurde gegen 16:30 Uhr am Montag gemeldet, Dienstag war Feiertag, wir haben also bis Freitag 16:30 Uhr für die Reparatur Zeit. Falls es bis dorthin nicht repariert werden kann, haben Sie Anspruch auf einen Transport des Motorrades zu einer Werkstatt ihrer Wahl bei ihrer Heimatadresse in Glattbach."
"Und falls sie es bis Freitag hinbekommen?"
"Dann bezahlen wir Ihnen ein Zugticket zweiter Klasse von ihrem Heimatort zu der Werkstatt, bei der die Reparatur erfolgt ist."
"Prima, dann machen wir das jetzt so."
"Gut, dann versuche ich ihnen einen Mietwagen zu besorgen. Sobald ich einen habe rufe ich sie zurück."
"In welchem Zeitraum darf ich mit ihrem Rückruf rechnen?"
"Ich mache mich sofort an die Suche."
Ich beginne herumliegende Stöckchen vom Zeltplatz in den Graben zu kehren, zupfe Unkraut aus der Hecke am Platzrand, fege den Platz mit einem abgebrochenen Ast und kontrolliere nochmal das Öl an unseren beiden Motorrädern und zur Sicherheit gleich an allen herumstehenden unverschlossenen Autos, wasche die Windschutzscheiben von allen Fahrzeugen auf dem Campingplatz und werde gleich das Waschhaus neu streichen, vorher will ich nur noch Mal mit dem ADAC telefonieren.
Warteschleife.
Bet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich möchte bitte die Auskunft wann unser Mietwagen bereit steht."
"Wir sind auf der Suche."
"Ja schon, aber sie sind jetzt schon seit über einer Stunde auf der Suche."
"In Frankreich war am Montag ein Brückentag zu einem Feiertag gestern, da gibt es ein erhöhtes Aufkommen von Pannenfällen, die bearbeitet werden wollen, da müssen sie sich schon Mal ein wenig Gedulden."
"Liebe Frau Marthe, der Kalender, in dem man diese Brückentag-Feiertag-Konstellation ablesen konnte war längst gedruckt, bevor es einen ADAC gab. Es wäre nach meiner Einschätzung Aufgabe des ADAC gewesen, das vorauszusehen und für eine erhöhte Sachbearbeiterzahl in Ihrem Callcenter zu sorgen. Besprechen sie das gerne mit ihren Direktoren, ich bin nicht bereit, meinen Urlaub dafür zu opfern. Wann darf ich also das Eintreffen des Mietwagens an unserem Campingplatz erwarten?"
"Wir werden einen Mietwagen für sie suchen, dann senden wir Ihnen eine SMS mit der Adresse, dort müssen sie den dann abholen."
"Weshalb kann der Mietwagen nicht am Campingplatz zugestellt werden?"
"Diesen Service gibt es in Frankreich nicht."
"Liebe Frau Marthe, ohne Ihnen zu Nahe treten zu wollen, aber das ist so nicht richtig. Ich habe in meiner Vergangenheit unter anderem für Europcar international gearbeitet und kenne daher deren Leistungsportfolio sehr genau. Es gibt auch in Frankreich eine Zustellung und Abholung von Mietwagen durch Mitarbeiter der Filialen an einem Wunschort."
"Ja dann lesen sie sich halt die AGBs durch."
tut tut tut tut ...
180 Puls. Steigend ...
Maulbeerbaumkaffee
Ein liebender Blick von Tina.
Neuer Anlauf.
Warteschleife.
Bet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich möchte bitte die Auskunft wann unser Mietwagen bereit steht."
"Wir sind auf der Suche, aber vor 14:00 Uhr brauch ich bei denen garnicht anrufen, da haben die Mittagpause."
"Heisst das, sie haben bislang noch nicht begonnen, sich nach einem Mietwagen um zu sehen?"
"Wie gesagt, vor 14:00 Uhr ist da niemand erreichbar. Wenn sie das nicht glauben, dann versuchen sie es halt selbst."
"Mache ich. Wenn ich einen Mietwagen finde, dann kann ich den einfach buchen?"
"Machen Sie das ruhig, wenn sie meinen, sie schaffen das."
"Gut, mache ich. Bis gleich."
Ich rufe per Schlaufon europcar.fr auf, gebe "hotline" in die Suchmaske ein und spreche zwei Minuten später mit einem Mitarbeiter von Europcar. Wir kommunizieren in Englisch.
"Ich befinde mich etwa 25 km östlich von Aix-en-Provence in einem Dorf namens Puyloubier und brauche einen Kleinwagen zur Einwegmiete nach Aschaffenburg in Deutschland"
"Einen Moment bitte.
...
...
Welche Fahrzeugklasse soll es sein?"
"Die preiswerteste. Ich nehme auch einen Smart, wenn sie einen haben. Irgenwas, völlig egal."
"In Aix haben wir wegen einer Großveranstaltung tatsächlich derzeit keinen Wagen zur Verfügung. Ich kann ihnen einen Polo am Flughafen Marseille anbieten, oder einen Corsa in Pertuis."
Beide Adressen sind knapp 50 km von unserem Standort entfernt, Pertuis liegt aber näher an unserer geplanten Route.
"OK, dann möchte ich bitte den Corsa in Pertuis reservieren."
"Sehr gerne. Wohin soll es gehen?"
"Aschaffenburg in Deutschland"
"Ah ja, kein Problem. Und wann soll die Rückgabe erfolgen?"
"Sonntag Nachmittag."
Er rechnet eine Weile und ermittelt Gesamtkosten in Höhe von 1367,- €. Ich sage zu. Die Reservierung eines Autos hat von der Idee bis zur Umsetzung ohne einen Computer mit Internetanbindung und internem Telefonverzeichnis genau 12 Minuten gedauert.
Ich rufe den ADAC an
Warteschleife.
Bet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich habe einen Europcar Mietwagen in Pertuis reserviert. Wie geht es weiter?"
"Nehmen Sie sich ein Taxi und holen Sie ihn ab. Sie können entweder den Mietwagen selbst bezahlen und die Kosten beim ADAC geltend machen, oder Sie rufen aus der Station an und wir senden eine Kostenübernahmeerklärung dort hin."
"Prima, herzlichen Dank."
Ich google ein Taxi in Puyloubier. Der Mann am Telefon sagt, ein Wagen könne in einer Viertelstunde bei mir sein, den Preis vermutet er bei etwa 100,- Euro. Ich sage zu und tatsächlich fährt etwa 20 Minuten später ein Taxi an der Schranke vor. Ausgezeichnet! Das Auto ist ein Golf Caddy, so dass alles Gepäck von Julian problemlos hinein geht. Tina fährt lieber im Taxi mit, Julian auf der BMW und ich mit dem Lukas hinterher. Der Fahrer erweist sich als vollendeter und freundlicher Gentleman, hilft geduldig beim Verladen des Gepäcks mit und schaltet erst bei der Abfahrt den Taxameter ein. Die Kosten belaufen sich auf 88,- Euro und für das umfangreiche Gepäck berechnet er keinen Zuschlag. Der Mann ist unser Highlight des Tages.
Drinnen bei Europcar sitzt ein sehr professionell auftretender junger Mann, der sich bemüht, mit zu denken. Er bietet uns einen Renault Kangoo an, in den wir das Motorrad hinein verladen könnten, wenn wir alles umklappen, inclusive des Beifahrersitzes. Wir erläutern, dass es sich um ein vollgepacktes Gespann handeln würde. Ein Blick auf Julians Gepäckberg lässt den Mann schnell erstummen. Ich rufe während dessen wie verabredet den ADAC an.
Warteschleife.
Bet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich bin jetzt in der Europcar-Filiale in Pertuis. Sie sagten mir, ich solle anrufen, sobald ich eingetroffen sei. Ich verbinde sie jetzt direkt mit dem Europcar Mitarbeiter."
Die ADAC Dame redet eine ganze Weile mit dem Europcar Herrn. Dann gibt mir dieser mein Handy zurück und bedeutet mir noch einmal ran zu gehen.
"Ja bitte?"
"Es gibt ein Problem, wir übernehmen die Kosten nur bis 500 €, der Leihwagen, den Sie sich ausgesucht haben ist zu teuer."
"Verzeihung, aber ich habe die Zusage von Ihrem Unternehmen, dass meine Frau einen Leihwagen bis nach Hause bekommt und wir haben die kleinste Klasse gebucht."
"Ja aber ihnen steht ein Leihwagen bis zu 500 € zu, nicht mehr."
"Und was soll dann ihrer Meinung nach passieren? Meine Frau mietet das Auto nur bis Mâcon und trägt ab dort das Gepäck zu Fuss nach Hause, oder was stellen sie sich vor?"
"Das kann ich ihnen nicht sagen, der Leihwagen steht jedenfalls nur bis maximal 500 € zur Verfügung."
"Sind sie so freundlich und verbinden mich mit ihrem Vorgesetzten."
"Das werde ich nicht tun."
"Ich möchte bitte jetzt mit ihrem Vorgesetzten sprechen, ich habe das Gefühl, unser Gespräch ist an einem Punkt angelangt, an dem ich meinen Standpunkt nicht mehr deutlicher vertreten kann, nur noch lauter."
"Sie bekommen einen Rückruf von meinem Vorgesetzten." sagt die minderfreundliche Dame und legt auf.
Ich vermute beim ADAC Pannenhilfe Frankreich bedauernswerte Arbeitsbedingungen: Die müssen bleischwere Telefonhörer statt moderner, federleichter Headsets haben, dort in Lyon, so oft wie der Hörer mitten im Gespräch auf die Gabel geknallt wird.
Ich beratschlage mit Tina und Julian unser weiteres Vorgehen. Wenn wir nur herausfinden könnten, wo das Motorrad ist. Unser Urlaub fliegt uns während dessen durch die wenig zielführenden Auskünfte des ADAC und vor Allem durch das immer wiederkehrende Nachkarten bei den Kostenübernahmen gründlich um die Ohren. Wir sollten vielleicht einfach nach Moustiers-Sainte-Marie fahren, die Herausgabe unseres Motorrades verlangen, es am Strassenrand mit einem zuvor irgendwo selbst gekauften Schlauch reparieren und einen Schwamm über die ganze Angelegenheit wischen. Aber was tun, wenn das Motorrad nicht mehr in Moustiers ist und der Mann dort keine Auskunft über den Verbleib geben kann? Sollen wir riskieren 90 km in die Gegenrichtung unserer Route zu fahren, nur um genauso weit zu sein? Und wo bleibt Tina mit dem gesamten Gepäck derzeit? Mitten in die Beratschlagung klingelt mein Handy. Eine, mir völlig unbekannte, französische Rufnummer versucht mich zu erreichen.
"Justus Roos, guten Tag."
"Guten Tag mein Name ist Thomas Nicolai, ich bin der Abteilungsleiter von ADAC Pannenhilfe Frankreich, sie hatten um einen Rückruf gebeten."
Ich habe Tränen der Rührung in den Augen. Nein, dass ich das noch erleben darf: Einen Rückruf vom ADAC Frankreich!
"Guten Tag Herr Nicolai, sind sie über meinen Fall bereits informiert?"
"Ja, es geht irgendwie um ein Motorrad in Südfrankreich."
"Ja genau. Im Augenblick sind wir in einer Station von Europcar in Pertuis und wollen einen Mietwagen anmieten, mit dem meine Frau und ihr Gepäck nach Hause kommen können."
"Ja, der Anspruch ist geklärt und der Mietwagen bewilligt."
"Ich habe im Moment das Problem, dass ich weder meine Frau ab Mâcon laufen lassen möchte, noch grob 860 € selbst dazulegen möchte."
"Wie kommen sie denn auf die 860 Euro?"
"Bei Europcar hat man mir Gesamtkosten in Höhe von 1360 € ungrad errechnet. Der ADAC hat zuerst gesagt, er würde die Kosten bis nach Hause übernehmen und kartet jetzt nach, dass er maximal 500 € bezahlen will."
"Ja, das stimmt, es gibt dieses 500 € Limit, aber weshalb ist ihr Fahrzeug denn so teuer, verbinden Sie mich doch bitte mal mit dem Europcar-Mitarbeiter."
Ich reiche mein Handy weiter. Die beiden diskutieren eine Weile, dann soll ich wieder dran gehen.
"Wenn sie den Mietwagen von heute 16:00 Uhr bis Samstag 16:00 Uhr anmieten, entstehen dem ADAC für das von ihnen gewählte Fahrzeug Kosten in Höhe von 474 €, das ist innerhalb des Limits. Wenn sie möchten kann ich ihnen umgehend eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung zusenden."
"Das bedeutet, der Wagen wird in Pertuis angemietet und in Aschaffenburg zurückgegeben und die Gesamtkosten ohne das Benzin werden vom ADAC übernommen?"
"Ja genau."
"Gut. Das bedeutet zwar, dass wir unsere Reise am Wochenende erneut umplanen müssen und auf zwei Tage Urlaub verzichten müssen, aber dann machen wir das jetzt eben so."
"Gut, ich schicke das Fax gleich raus, wissen Sie, der ADAC hat als Großkunde natürlich erheblich andere Konditionen bei den namhaften Autovermietungen, da unterscheiden sich die Preise schon Mal gewaltig."
"Danke Herr Nicolai."
Es kommt kein Fax.
Nach einer weiteren halben Stunde rufe ich beim ADAC an
Warteschleife.
Bet-hoffen.
Mitgliednummer.
Einlesen.
"Was kann ich für sie tun?"
"Ich warte auf ein Fax bei Europcar."
"Das haben wir vor etwa 20 Minuten losgeschickt"
"Danke"
Ich sage dem Europcar Mitarbeiter, er möge noch einmal nachsehen.
Der kommt mit dem Fax zurück und entschuldigt sich, er habe es übersehen.
"Jaja, schon gut," sage ich, und denke dabei, man habe sich jetzt schon so oft für meine Geduld bei mir bedankt, dass ich auch endlich mal welche haben könnte ...
Der Europcar Mitarbeiter findet heraus, dass in der Kostenübernahme 570 km Gesamtfahrleistung bewilligt sind. Immerhin, das reicht jetzt schon bis Besancon ...
Warteschleife.
Bet-hoffen.
"Wie ist bitte Ihre Mitgliednummer?"
"Ich möchte Herrn Thomas Nicolai sprechen."
"Darf ich Ihren Namen wissen?"
"Einen Moment, ich verbinde."
Hoppla. Geht ja.
"ADAC Thomas Nicolai, guten Tag"
"Hallo Herr Nicolai, wir hatten uns über den Mietwagen von Pertuis nach Aschaffenburg untehalten."
"Ja, hallo Herr Roos. Ist das Fax immer noch nicht da?"
"Doch. Aber darauf wird uns ein Mietwagen für 570 km bewilligt. Das ist die Gegend von Besancon. Was machen wir ab dort?"
"Wieso 570 km? Geben sie mir den Mann mal."
Thomas Nicolai und Monsieur Europcar diskutieren irgendwas. Der Europcar-Mann gibt mir mein Handy zurück und erklärt irgendwas auf französisch, das sei eine Vertragsfloskel ohne Bedutung, das würde dann der Versicherung zurückberechnet."
Ich resigniere, erkläre mich mit allem einverstanden, gestehe alle meine Sünden, leugne nicht mehr, mit dem Teufel einen Pakt zu haben und gebe zu, Spion für den Vietcong zu sein und unterzeichne irgendwelche Blätter, die mir über den Tisch geschoben werden, verpfände Haus und Hof und überschreibe das Erbe der nachfolgenden 17 Generationen an Europcar, für den Fall, dass ich das Auto nicht vollgetankt zurück bringen würde.
Ich glaube, es ist überflüssig zu erwähnen, dass uns Europcar natürlich vorgestern 200 € für die Mehrkilometer von der Kreditkarte abgezogen hat ...
Dann bekomme ich den Schlüssel für einen Leihwagen.
Mittlerweile nimmt Tina telefonisch die Information entgegen, der ADAC bietet uns an, das Motorrad entweder am Mittwoch, den 23. August in Frankreich zu reparieren, oder in zwei bis drei Wochen einen Rücktransport nach Glattbach zu organisieren. Wir antworten, man möge das Motorrad einfach in Moustiers-Sainte-Marie stehen lassen und nicht mehr anfassen, bis es nach Deutschland transportiert wird.
Gegen 16:30 Uhr brechen wir in Pertuis auf zur Ardèche.
Wir haben laut Navi eine errechnete Ankunftzeit um 20:20 Uhr an dem Campingplatz Le Clapas in Salavas, direkt an der Ardèche, bei dem wir einen Platz gemietet hatten. Irgendwas sagte mir bei der Buchung, ich solle eine Rücktrittversicherung für 1,40 € dazu buchen. Das hatte ich getan, und unmittelbar nach dem Anruf, ob es ein Problem sei, dass wir wegen unserer Panne einen Tag später kämen, erhielt ich auch eine Bestätigung, dass der Wirt diese in Anspruch genommen hätte. Na gut. Der muss auch schauen, wo er bleibt. Wenn auch leistungsfrei. Die gemietete Parzelle hatte er am selben Tag noch an einen neuen Gast vermietet, der auf gut Glück nach einem Platz gesucht hatte. Diese war damit doppelt bezahlt. Es hat auch Nachteile, seinen Gästen die Parzellennummer vorab mit zu teilen, sobald die Bezahlung eingeht. Egal. Er hatte sein Geld bereits, ich bekam eine Parzelle am Folgetag, Schwamm drüber.
Ich rufe bei dem Campingplatz an und gebe bekannt, dass wir gegen 20:20 Uhr errechnet eintreffen würden. Der Wirt sagt mir, 20:00 Uhr sei das äußerste der Gefühle, denn er habe am Abend eine Party, da könne er die Schranke nicht mehr öffnen. OK. Ich habe mich zwar den ganzen Urlaub und Wochen davor darauf gefreut, mal wieder die Gorges d'Ardèche von Saint-Martin-d'Ardèche bis nach Vallon-Pont-d'Àrc zu fahren, weil ich mit dieser Straße zahlreiche Erlebnisse verbinde, aber dann eben langweilig über Cavaillon, Avignon und Barjac. Das hat mir an diesem Tag grade noch gefehlt, mich von einem Campingplatzwirt hetzen lassen zu müssen ...
Als wir nach Fahrt ohne Unterbrechung am Campingplatz ankommen, 5 Minuten vor acht, stellen wir fest, dass die Party direkt an der Schranke stattfindet und der Besitzer quasi unmittelbar daneben sein Mischpult aufgebaut hat. Eine Mitarbeiterin öffnet mir, erklärt mir alles, kassiert nochmal 1,72 € extra für ich-weiss-nicht-was und wünscht uns "Bonne instalation."
Wir installieren uns tres bon und wollen noch ein Fläschchen Wein an der Bar trinken. Das bekommen wir aber nicht verkauft, ebenso wenig wie eine Portion aus den gewaltigen Paella Pfannen, die nebenan schmurgeln. Das sei alles nur für Leute, die vorbestellt haben wird uns erklärt. Ist vielleicht auch besser so. Wir haben noch lauwarmen Wein, ein wenig Brot, Käse und Salami, sowie Erdnüsschen und eine Tüte Flips. Ich hab schon schlechter gegessen auf dieser Reise.
Die Party dauert bei entsetzlicher Musik bis Mitternacht. Kurz danach schlafe ich ein und träume von einem schrecklichen, gelb lackierten Ungeheuer, das Motorräder, hübsche kurvige Straßen und Zeit frisst. Unglaubliche Mengen wertvoller, teurer Urlaubszeit ...
Fortsetzung folgt