Nun ja,
mich erreichte gestrig eine Anfrage des werten Herrn Blechroller, der etwas fassungslos dem ihm angedichteten Tragen eines klappenden Helmes mit Aufschrift der Firma Harley-Davidson angedichtet wurde. Er bat mich, zu dieser Thematik eine Stellungnahme abzugeben.
Keine leichte Sache, da ich mich zwar wissenschaftlich mit Sonderphänomenen der menschlichen Erscheinung befasse; im Kreise der Kradierzunft mir jedoch eine ausreichende Erfahrung in praktischer Hinsicht fehlt. Ich wendete mich daher an einen Bekannten, den Hans-Hubert, stellvertretender Leiter der hiesigen universitären Buchhaltung und Finanzcontrolling. Hans-Hubert erscheint mir geeignet, mir ausreichenden Zugang zu der Thematik zu verschaffen.
Hans-Hubert ist eine besondere Erscheinung. Ca. 162cm groß, blasse Haut, rote Backen und ein leichter Hang zu Ähnlichkeit mit einem Metzgereigesellen. Oder anders gesagt, ist die Erscheinung nicht zwingend die eines durchtrainierten Modellmannes, wie die Frauen sich diesen beim Ausflug der Gemeindefrauen in die Disko zum Männerstrip vorstellen…
Hans-Hubert kann beruflich seine Ausbildung als Bankangestellter der örtlichen Raiffeisenbank nicht verleugnen. Trägt er doch zumeist karierte Sackos mit leichten Farbeinschlägen und Krawatten mit gar lustigen Motiven wie Asterix, die Schlümpfe usw.
Hans-Hubert ist aber ein richtig harter Biker, der sich im zivilen Arbeitsleben den Normen der Gesellschaft notgedrungen unterwerfend verkleidet. Ist er aus der Arbeitswelt entkommen, streift er das Sacko ab, legt die Bügelfaltenhose zu Seite und bindet ab meist die Krawatte ab. Er legt dann blauen Jeansstoff an; eine Jeansjacke, die er noch aus seiner wilden Jugendzeit gerettet hat. O. K. sie spannt an einigen Stellen etwas, aber das Material wird über die Jahre auch kleiner. So richtig bewegen kann er sich mit der Jacke auch nicht mehr. Er bekommt eine etwas embryonale Grundhaltung mit leicht rundem Rücken und eingezogenen Hals, aber das passt ganz gut zu seinem Kraftfahrrad (s. u.).
Als Beinkleid legt er seine geliebte Bundfaltenjeans an. Gut, die Bundfalten sind nicht wirklich standesgemäß als Biker, aber Hans-Hubert füllt diese mit Leiblichkeit so aus, dass die Falten kaum noch sichtbar sind. Er erspart sich durch diese Hose auch einen Nierengurt, zieht er den Bund der Hose doch so hoch, dass der Bauchnabel noch geschützt ist. Ganz wichtig sind Hans-Hubert jedoch die Schuhe. Durch seine etwas geringe Körpergröße (der Höhe nach), macht er auf mich immer wieder den Eindruck, dass er damit ein Problem hinsichtlich des eigenen Bewußtseins seiner selbst haben könnte. Im richtigen Leben jedoch ist diese Thematik nicht aktuell, greift Hans-Hubert jedoch zu einem Relikt der 80er Jahre, den Absatz-Stiefeletten, genannt "Travoltas". Hans-Hubert gewinnt so mächtig an Größe und das nicht nur körperlich.
Hans-Hubert ist ein wirklich harter Hund. Neulich sah ich beim Essen in der Mitarbeiterkantine der Uni einen kleinen schwarzen Fleck unter seinem Daumennagel. Ich bin mir fast sicher, dass das ein Altölrest sein könnte. Außerdem hat Hans-Hubert zumindest in den Sommermonaten am Montag immer eine Tube Handcreme der Marke "Seenototterpaste" neben seinem Schreibtisch liegen. Ich hörte mal, wie er einer Kollegin erklärte, dass er diese immer am Montag benötige, weil er nach dem Motorradfahrertreffen am vorherigen Wochenende Sonntag am Abend immer sein Motorrad waschen muss und dabei seine Hände der austrocknenden Wikrung des Wassers ausgesetzt sind.
Also, nach der Anfrage des werten Herrn Blechroller sendete ich Hans-Hubert eine hausinterne elektronische Mail mit der Bitte, mich doch am Abend privat aufzusuchen, um ihm ein paar Fragen zum Motorradfahren aus wissenschaftlicher Sicht zu stellen.
Gestern am Abend dann:
Ich stehe im Garten und warte auf die Ankunft des Hans-Hubert. Plötzlich vernahm ich ein leises Säuseln, sah ein Zweirad auf mich zufahren und sinnierte noch verwundert, warum das leise Säuseln nicht mit abnehmendem Abstand des Zweirades zu mir lauter wurde, also schon Hans-Hubert auf seinem Bike vor mir stand. Eine impostante Erscheinung: Hans-Hubert in seinem Jeansdress, die Travoltas mit den Fussspitzen balletttänzerähnlich auf dem Boden (gut, eigentlich nur eine Stiefelettenspitze), auf dem Kopf ein dunkler Helm mit offenem Gesichtsteil, auf dem Helm ein breiter Chromstreifen und vorne einer Schirmmütze gleich ein wohl dem Sonnenschutz dienendes Dach.
Hans-Huberts goldrandige Brille mit glasbausteinartigen Linsen passten nicht ganz zum Erscheinungsbild, aber was will der Kerl sonst machen, sieht er doch ohne Brille nicht viel mehr als ein Maulwurf in seinem Wohnzimmer.
Hans-Hubert in leicht gekrümmter Embryonalhaltung kommt gerade so an den hohen, mit den Griffen in einem eleganten Schwung nach hinten-unten zeigenden Lenker. Rechts und links am Griffende hängen seltsame Schnüre herab. Ich gehe davon aus, dass dies etwas mit dem airodynamsichen Konzept des Kraftrades bei hohen Geschwindigkeiten zu tun hat. Hinter Hans-Hubert endet der Sitz des Motorrades ein einem steil nach oben reichenden chromblitzenden Aufbau, ähnlich einer Rückenlehne. Eine Rückenlehne wird es wohl nicht sein, denn Hans-Hubert sitzt geschätzte 75cm von diesem Metallaufbau weg.
Unter dem Rückenaufbau dann beidseitig so schwarze Koffer aus Kunstoff mit allseitig gerundeten Kanten und vielen Aufkleber. Erkennen kann ich auf den Ersten Blick: "ADAC", "Nürburgring Nordschleife", "Castrol", "Brenner-Pass" und weitere. Ein Aufkleber scheint mir etwas hektisch und wahrscheinlich nicht vom pflegenden Besitzer Hans-Hubert halb entfernt zu sein. Wenn ich es richtig sehe, kann man auf dem Aufkleber noch so was wie "HarlXXXXX-Daxxxdxxn XOG" lesen, bin mir aber nicht sicher. Ich werde Hans-Hubert dazu fragen müssen, wenn wir das Problem des werten Herrn Blechroller geklärt haben. Genauso frag ich ihn dann noch, was die Zahl "535" unter der Aufschrift "Virago" auf dem Tank bedeutet, was der Sinn dieser Chromdinger, ostereiähnlich seitlich vor dem Motor ist und ob er kein Deutscher sei, weil doch hinten auf einem Koffer und vorne auf einem riesigen Windschild ähnlich einem D-Schild die Länderkennzeichnung "
ADV" klebt.
Hans-Hubert steigt von seinem Motorrad. Leichtes Ächzen und er steht in leicht embryonaler Haltung vor mir. Trotz seiner Travolta-Stiefeletten scheint er geschrumpft zu sein. Er nimmt den Helm ab und öffnet die Knöpfe seiner Jeansjacke. Gleich einem sich exposionsartig aufblasenden Airbags schnellt nach Öffnen des letzten Knopfes Hans-Hubert aus seiner Jeansjacke empor und erreicht (seine) Normalgröße.
An dieser Stelle möchte ich einfügen, dass hier gelegentlich im Text vertauschte Buchstaben den Hintergrund haben, dass Daumen und ein Finger meiner rechten Hand bandagiert sind. Der Arzt sagte heute morgen etwas von Kapselriss usw. Hans-Hubert reichte mir nämlich die Hand zum Gruß und ich wollte gewohnheitsmäßig mit üblichem Händeschütteln einschlagen, als Hans-Hubert die Hand drehte, meinen Daumen nach hinten bog und seine Finger über meine Hand schob. Nachdem mein Schrei verklungen war und das Anschwellen der Gelenke unter kühlendem Wasser in der Geschwindgkeit etwas abnahm, murmelte er etwas von "Bikergruß"…
Hans-Hubert erzählte dann im folgenden von wilden Partys mit im Schlamm streitenden Frauen leichter Bekleidung, vielfachen Zusichnehmen von Biereinheiten, Enthüllungen der Weiblichkeit wegen der Hitze auf der Bühne eines Showzeltes, waren Männerfreundschaften, Kameradschaft usw.
Auch vernahm ich aus seinen Erzählungen, dass die Einheit der Motorradfahrer etwas mit christlicher Religion zu tun haben muss. Spricht doch Sonntag der Pfarrer von der Kanzel immer von "Brüdern und Schwestern", Hans-Hubert dagegen von "Brothern und Sissys". Nun ja…
Irgendwie redete Hans-Hubert immer weiter und weiter, seine Backen wurden immer röter, aber nach und nach wurde es seltsam. Er sprach nie die Namen seiner Bekannten von den Motorradtreffs, er kam immer mehr zum Thema, dass man ja jahrelang dazu gehören müsse, um anerkannt zu sein, dass er deswegen jedes Wochenende auf ein anderes Treffen fahren würde, dass ihn dort schon welche wieder erkannt hatten und sich redlich mit lautem Lachen und fingerdeuten auf ihn auf das Wiedersehen mit ihm freuten. Hans-Hubert erzählte von seiner Welt und seinen Kameraden, die bald auch seinen Namen kennen würden.
Ich schnitt an dieser Stelle die Erzählung ab, denn mir kam es vor, als ob eine gewisse Traurigkeit in der Stimmung von Hans-Hubert zunahm und er trotz seiner Stiefeletten und der geöffneten Jenasjacke wieder an Körperhöhe einbüßen würde.
Ich zog Hans-Hubert zu meinem Computer und zeigte ihm das Bild von dem klappenden Helm, dessen Tragens der werte Herr Blechroller bezichtigt wurde.
Eine Exposion im Gemüt des Hans-Hubert hat dies zur Folge: Ein "Ja!", "Ja!", "Jaha!" schallte durch den Raum, Tränen rannten über die roten Backen des Hans-Hubert. Er trocknete diese mit einem Stofftaschentuch auf dem komischerweise die Zahl "13" aufgedruckt ist. Hans-Hubert stammelte, er konnte seinen stieren Blick nicht vom Bildschirm nehmen. Nach Minuten kam es verständlich aus ihm raus: "Der böse Blick" als Helm, endlich gefunden. Die "Company" stellt ihn her, den Helm, der ihn in die Höhe von 172cm bringt, der ihn in den Kreis seiner zukünftigen Bikerkumpels heben wird. Wortlos notierte Hans-Hubert die Bestellnummer, faltete sich in seine Jeansjacke, stammelte noch "Danke dem
Dirk" und verschwand auf seinem Bike mit einem leisen Säuseln.
So, liebe Leute…
So weit bin ich bisher auf dem Weg, der Anfrage des werten Herrn Blechroller eine Antwort zukommen zu lassen. Viel mehr habe ich nicht erreicht. Vielleicht hilft es ihm, dem Herrn Blechroller.
In diesem Zusammenhang wurde mir bei Übersendung der Anfrage des werten Herrn Blechrollers von diesem noch ein Foto zugesendet, mit dem ich bisher noch nichts anfangen konnte. Vielleicht können Sie mir helfen. Ich forsche natürlich gerne wissenschaftlich über die Homoerotik von
klappenden Helmen, Wellen unter Beiwagen und
Waschzwängen unter Männern.
Gruß
Ihr Prof. Dr. Dr. h. c. Pendeldödel