Scheinzwerg, der:
Niedliches kleines Problem, dass sich beim Näherkommen in ein immer größeres oder sogar mehrere größere Probleme verwandelt, wodurch aus einer kleinen Aktion eine (mindestens) abendfüllende Tätigkeit wird. Entfernter Verwandter des
Scheinriesen, aber nicht mit diesem zu verwechseln. Oft in Hobbywerkstätten anzutreffen, zeigt er sich meistens bei den Worten "Ich mach das mal schnell.". Auch durch ausufernde Planung nur selten zu vertreiben, nutzt er doch die kleinste Lücke im quantenmechanischen Gefüge des Universums, um sich in die Realität zu zwängen.
Beispiel: "Ich schweiß da mal schnell noch ein paar Muttern drauf." wird zu folgenden Arbeiten:
1. Ich will auf den Mittelschalldämpfer meines Endurogespanns vier Edelstahl-Muttern schweißen. Man kommt von oben sehr gut ran, jetzt, wo alles ausgebaut ist, was darüber liegt. Daher möchte ich den Topf nicht ausbauen, das dauert doch sonst so lange (an diesem Punkt schlägt der Scheinzwerg seine Augen auf und steht, winzigklein, in der Ecke der Werkstatt).
2. Die Oberseite wird an den Punkten für die Muttern mit der Flex vom Lack befreit. Nicht überall, weil im verbauten Zustand zuwenig Platz ist, also schleif ich den Rest mühsam mit der Hand ab.
3. Ich lege die erste Mutter auf, beschwere sie mit einem Gewicht und picke sie vorsichtig mit dem WIG-Gerät an. Das Ganze wiederhole ich an mehreren Punkten der Mutter, damit sie auch hält. (Der Scheinzwerg hat die halbe Strecke zu mir zurückgelegt und ist jetzt fast so groß wie ich).
4. Als die Mutter abgekühlt ist, stelle ich fest, dass das Gewinde an einer Stelle angeschmolzen ist. Die Mutter ist Schrott und muss wieder abgetrennt werden. Das geht im verbauten Zustand nicht, da ich mit der Flex nicht überall hinkomme. (Der Scheinzwerg legt nun seine Hand, groß wie die Pranke eines Braunbären, auf meine Schulter und grinst mich an.)
5. Ich beschließe den Mittelschalldämpfer auszubauen.
6. Hierfür muss erst der Endschalldämpfer raus. Dessen Schelle ist mit einer Inbusschraube verschlossen, den passenden Inbus suche ich vergeblich und verorte ihn in meiner 7km entfernten Garage, wo ich ihn gestern noch gebraucht habe. Also würge ich die Schraube mit ungeeignetem Werkzeug raus.
7. Hinter dem Endschalldämpfer ist noch ein Rohrstück, ebenfalls mit einer Schelle verschlossen, das muss auch ab. Die Schraube ist verbogen und lässt sich nur mit Müh und Not entfernen.
8. Der Endschalldämpfer ist ab.
9. Jetzt noch die Schellen zu den Krümmern lösen und ich kann den Mittelschalldämpfer einfach abziehen, schließlich habe ich beim Bau peinlichst darauf geachtet, dass die Rohre parallel zueinander sind, damit sich nix verkanten kann.
10. Der Mitteltopf geht nicht ab.
11. Ich löse die Krümmer an den Zylindern. Hierzu benötige ich wieder den unter 6. vermissten Inbusschlüssel. Wiederum verwende ich einen ungeeigneten Ersatz.
12. Die Krümmer sind gelöst, der Topf bewegt sich nicht. Ich fange an, Gewalt anzuwenden.
13. Der Topf ist ein Stück rausgekommen aus den Krümmern, verkantet sich aber offenbar und will auch trotz Gewalt nicht freikommen.
14. Nach vielen Versuchen bewegt er sich Stück für Stück und nach ca. einer Stunde kommt er langsam mit viel Gewackel in alle Richtungen frei.
15. Der Topf ist draussen. Ich trenne die Mutter ab, lege eine neue Edelstahlmutter auf, schweiße sie wieder fest und das Gewinde ist wieder angeschmolzen.
16. Das Ganze wiederhole ich noch zweimal, bis ich beschließe, dass Edelstahlmuttern von mir nicht verschweißt werden wollen und weiche auf rostige normale aus (dort ist die Zinkschicht bereits weg).
17. Nachdem die Muttern nun alle korrekt dran sind, mache ich ein Edelstahlblech zurecht, welches als Hitzeblech auf den Topf soll.
18. Ich schweiße auf dem Blech noch ein paar unnütze Bohrungen zu.
19. Das Blech ist eine Banane.
20. Ich lege das Blech beiseite und möchte mit einem Zinkspray die geschweißten Stellen vom Topf vor dem Lacken verzinken.
21. Das Zinkspray wirft seine Düse vom Spühkopf davon und es kommt viel zu viel und in jede Richtung raus.
22. Ich suche eine passende neue Düse, setze sie auf und will lossprühen.
23. Die Düse ist nach 0,5s dicht.
24. Ich beschließe, dass "zuviel" genau die richtige Menge Zink ist und sprühe den Topf (und meine Hand) mit dem kaputten Sprühkopf an.
25. Nachdem der Topf halbwegs trocken ist, stelle ich fest, dass eines der Rohre, welches über den Krümmer geschoben wird, eine Delle genau da hat, wo die Verschraubung der Schelle saß. Ach. Ach was. Ach so. Deswegen wollte der nicht ab. Vermutlich beim Aufbocken nicht aufgepasst.
26. Ausdellen hat nicht funktioniert, ich verschiebe die Lösung auf morgen (vermulich das Rohr abtrennen und ein neues einschweißen).
Als ich aus der Werkstatt gehen will, macht der Scheinzwerg bereitwillig Platz, zeigt mir aber vorher noch den Inbusschlüssel, den ich unter 6. gesucht hab. Dieser liegt mitten auf der Werkbank.
Kurzform:
Heute war wieder so ein Scheinzwergtag.