von fleisspelz » Do 15 Apr, 2021 12:27
Kaum sitzt so eine Schraube mal 35 Jahre an Ort und Stelle, schon benötigt sie ein ordentliches Losbrechmoment. Wenn das beschraubte Motorrad ein zu oft und zu gründlich gepflegtes ist, folgt auf das gewaltige Losbrechmoment eine flüssige und geradezu unaufgeregte Weiterbewegung des Werkzeuges bar jeglichen Widerstandes, die es ermöglicht, dass die werkzeugführende Hand ungebremst an Auspuffhalterungen und vergleichbaren scharfkantigen Rahmenteilen entlang Hautfetzen und Daumennägel abstreift. Dies führt unter Umständen dazu, dass sich inmitten eines klaffenden Loches im Rest-Daumennagel schwarzer Baatz von einem in der Nähe befindlichen und gut gewarteten Schmiernippel wiederfindet, der in Zusammenarbeit mit dem schlagartig einsetzenden stechenden Schmerz zunächst einen Veithstanz indianischen Zuschnitts in der Werkstatt und unmittelbar darauf folgend den spontanen und ungeplanten Feierabend des Werkzeugführers nahelegt.
Wenn nun der frisch gewonnene Feierabend aus Sorge um die beobachtete Wundverschmutzung und in Kenntnis der Tatsache, dass die letzte Tetanus-Impfung elf Jahre zurück liegt, gegen die übliche Gewohnheit im Verletzungsfall dazu verwendet wird, einen Arzt aufzusuchen und dieser wiederum nach intensiver Begutachtung der Wunde die Konsultation eines Chirurgen nahelegt, da ein Rest des Daumennagels entfernt werden muss, der irgendwie unförmig aus der Wunde heraussteht, und das ganze kurz vor der Mittagpause geschieht, dann kann dies bedingen, dass der ortsansässige Hausarzt, zu dem man im Hemd und eh ohne Handschuhe mal eben schnell hinkradiert war, zu dem 8 km entfernten Chirurgen mit den Worten schickt: "Die warten da schon auf Dich, gib Alles!"
Logische Folgerung dieser Aufforderung kann daraufhin sein, dass der ungeschickte Ex-Werkzeugführer wenige Minuten später, immer noch im Hemd und ohne Handschuhe, beim Chirurgen aufschlägt, vor dessen Haus sein Motorrad gut hörbare Knistergeräusche des metallischen Erkaltens von sich gibt. Der Chirurg hat dann die Gelegenheit, sich die Wunde anzuschauen, sie mit irgendeiner Flüssigkeit zu reinigen, die in der Hölle der heiligen spanischen Inquisition ersonnen worden ist um unmittelbare Geständnisse zu erpressen und im Anschluß seine verdiente Mittagspause durch den Vorschlag zu retten, man könne die örtliche Betäubung dadurch umgehen, dass man den Rest des Daumennagels einfach so herausbastelt, das sei unwesentlich schmerzhafter, würde aber bedeutend schneller gehen.
Überflüssig zu erwähnen, dass es just in dem Moment, in dem der sich nach wie vor im Feierabend befindliche Werkzeugführer die chirurgische Praxis immer noch im Hemd verlässt, die linke Hand durch einen Verband geschmückt, der eh jeden Handschuh obsolet gemacht hätte, beginnt in Strömen zu regnen, so dass die 8km zurück nach Hause dazu verwendet werden können, einmal Alles gründlich einzuweichen was man noch nie bewässert haben wollte. Der Umstand, dass der stattliche Verband des linken Daumens das Kuppeln erschwert und das Blinken unmöglich macht tröstet auf der Heimfahrt nur unwesentlich.
Andererseits ist es ein Luxus, sich um kurz nach elf die Hand aufzureissen und um kurz nach zwölf von zwei Ärzten vollständig versorgt worden zu sein. Es ist schon sehr geil, ein gut funktionierendes und solidargemeinschaftlich finanziertes Gesundheitssystem zur Verfügung zu haben!
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Ich bin kein Optimist. Es ist halt nur so, dass mein Pessimismus resigniert hat …