Am Montag früh war ich müde. Das habe ich manchmal, weil ich nachts nicht immer gut schlafe. Dann penne ich Abends um acht ein, wache um zehn wieder auf und bin dann bis zum Morgengrauen glockenwach, um dann nochmal ein oder zwei Stunden unruhig und nicht sehr tief zu schlafen. So eine Phase hatte ich grade wieder. Also habe ich den Montag Vormittag ruhig angehen lassen. Tina hat sich eine Erkältung eingefangen und ich hab meine Befindlichkeit auf die übliche begleitende Partnererkältung geschoben, und es langsam angehen lassen.
Ich bin um halb neun aufgestanden und wollte in meine Werkstatt, den Kabelbaum vom Wintermotorrad fertig machen. Vorher habe ich, weil immer noch ein wenig müde, ein wenig Organisations- und Schreibkram und ein paar Telefonate erledigt. Tina ist wegen ihres Infektes zum Arzt gegangen und ich habe ihr mein Krankenkassenkärtchen mitgegeben, damit sie ein Rezept für meine Blutdrucktabletten für mich mitbringt. Blöd, dass ich mir durch die eine ungewohnte Sitzhaltung den rechten Arm irgendwie eingezwickt habe und der jetzt eingeschlafen ist. Ich muss pinkeln irgendwann und stehe vom Tisch auf. Es ist 11.30 Uhr mittlerweile. Ich gehe ins Bad, koch mir noch einen Espresso und der Arm will nicht richtig aufwachen. Ich mache mir Gedanken über einseitig kribbelnde Extremitäten und versuche den eingeklemmten Nerv durch Massagen und kaltes Wasser wieder zur Mitarbeit zu bewegen, bemerke, dass mir ein wenig schwummerig ist und rufe im Web eine Homepage mit Schlaganfallsymptomen auf. Ich muss ein wenig über meine eigene Hypochondrie grinsen. Dann lese ich den entscheidenden Satz: "Leider scheuen sich noch zu viele Menschen davor, den Rettungsdienst zu benachrichtigen. Stattdessen hofft man, dass die Beschwerden von alleine wieder verschwinden. Es ist eine trügerische Hoffnung, die viel Zeit kostet und bei einem Schlaganfall schlimme Folgen haben kann. Bedenken Sie, dass sich auch ein zunächst leichter Schlaganfall zu einem schweren Schlaganfall ausweiten kann. "
Ich rufe um 12:00 Uhr die 112 an und sage sowas wie: "Ich hoffe, keinen falschen Alarm auszulösen, aber ich habe ein paar Schlaganfallsymptome und hätte gerne jemanden, der sich das mal anschaut." Ich gebe meine Adresse durch und stelle mich ans offene Fenster, damit ich die Sanitäter empfangen kann. Gute 20 Minuten später hält ein Rettungswagen vor dem Haus und drei Mann Besatzung kommen in den Hof.
Sie kommen hoch und machen ein paar Tests, die kein klares Bild ergeben und bieten mir an, mich in ein Krankenhaus mitzunehmen. Ich erwidere, dass Tina mit meinem Kärtchen beim Glattbacher Arzt sitzt und ich ihr eigentlich eh gerne bescheid gäbe, damit sie sich nicht so doll erschreckt. Nach kurzer Beratschlagung beschliessen wir, an der Glattbacher Arztpraxis, die eh am Weg liegt kurz anzuhalten und das Kärtchen entgegenzunehmen nachdem ich Tina per Mobiltelefon in Kenntnis gesetzt habe. An der Glattbacher Arztpraxis springt ein Sanitäter raus um die Krankenkassenkarte zu übernehmen, während der andere versucht, einen freien Krankenhausplatz in einer Notaufnahme zu finden. Früher war sowas Mal eine sogenannte "Reservekapazität". Eine Notaufnahme und ganz besonders eine "Stroke-Unit" hatte immer ein paar Plätze frei, an der Notfälle sofort in Empfang genommen werden konnten. Mittlerweile gibt es einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik, der dazu geführt hat, dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften sollen und nach wirtschaftlichen Kriterien geführt werden müssen. (Man stelle sich vor, die Polizei oder die Feuerwehr müsse Gewinne erwirtschaften) Diese Umdenken hat dazu geführt, dass die "Reserveplätze" jetzt "Leerstand" heissen, oder "Überkapazität" und daher ein abzubauendes Übel sind. Langer Rede kurzer Sinn: Im Klinikum Aschaffenburg und allen anderen Krankenhäusern des Landkreises gab es keinen freien Platz für mich. Nach einiger Zeit, die der Rettungswagen mit eingeschaltetem Blaulicht am Straßenrand verbracht hatte meldete die etwa 30 km entfernte Klinik Erlenbach aus dem Nachbarlandkreis, dass sie mich annehmen könne. So kam es, dass ich gegen 13:30 Uhr in einem Coputer-Tomographen lag, der ein klares Bild einer geplatzten Ader im Hirn lieferte und eine kleine Blutlache, die daraus resultierte. Ich-weiss-nicht-wem-sei Dank, dass der Vorfall nicht shr groß war, und die Blutung zum Zeitpunkt der Bildgebung schon wieder durch körpereigene Mechanismen zum Stillstand gekommen war.
Aktuell gilt es, zum Einen herauszufinden, ob eine Blutdruckspitze dazu geführt hat, dass das Äderchen platzt, oder ob eine Anomalie in meinem Hirn vorliegt, die Ursächlich war. Ja, Anomalien gibt es in meinem Querschädel mehrere, ich meine aber jetzt welche, die nichts mit Freude am Leben, Motorrädern oder anderweitig zauseligem Gedankengut zu tun haben. Dann muss ich die 72 Stunden abwarten, die ein erhöhtes Risiko für ein Zweitereignis vorliegt, auch das ist zum größten Teil erledigt. Anschliessend werde ich mit den Ärzten darüber sprechen müssen, für wie lange sie mir das Fahren verbieten wollen. Die pauschalen drei Monate möchte ich bei dem vollständigen Fehlen von Symptomen, das ich dankenswerter Weise habe natürlich nicht akzeptieren, zumal das ein TT als Beifahrer bedeuten würde, aber auch den Alltag im hügeligen Glattbach extrem erschweren. Nicht vorstellbar ...
Jedenfalls freue ich mich, einem so gravierenden Schuss vor den Bug so glücklich begegnet zu sein. Trotz Widrigkeiten des Gesundheitssystems und ernstem Vorfall, der weitaus dramatischere Folgen nach sich ziehen gekonnt hätte, geht es mir einwandfrei, wofür ich sehr dankbar bin. Ein fröhlicher Anlass für eine ernsthafte Feier!