von fleisspelz » Sa 21 Dez, 2013 18:52
Als die Sechszylinder Goldwing ein neues Fahrzeug war, gab es in Hamburg einen schönen Auftritt, den ich beobachten durfte.
Ich kenne drei regelgerechte Physiognomie-Archetypen von Goldwingpiloten: Günni Fistelstimm, 190 cm in allen Dimensionen, mit abgerundeter Würfelform und annähernd so schwer wie sein Krad, Didi Adlergesicht, 205 cm hoch und schlanker, als jede Hopfenstange, wiegt etwa 50 kg und kein Mensch sieht, wo die zusammenkommen sollen, sowie Modell drei, den Mann, der die Doppeldeutigkeit des Wortes "Physiognomie" am besten demonstriert, Manni Besoffski, der etwa 163 cm große Stiernacken mit kiloschwerer Goldkette um den Hals, Bauchtasche, Negativglatze (also Stoppelhaarschnitt, da wo eine Glatze mit gutem Recht hingehört und glattrasiert dort, wo eigentlich der Haarkranz drunter sitzt) und einem TShirt mit dem Text "Bier formte diesen Körper", das mich daran erinnert, was ich immer schon Mal meinem Kumpel, dem Braumeister vorwerfen wollte...
Physio-Gnom Manni sass in ordnungsgemässer Manni-Montur (erwähntes TShirt, dreiviertellange Freizeit-Hose und Adiletten, sowie obenrum vollwertigen Schutz in Form eines Braincaps) auf seiner funkelnden rotmetallic-chromglänzenden Sechszylinder Christbaumkugel, und aus den Lautsprechern quoll ohrenbetäubend laut "Guns N'Roses". Schlimm genug ...
In Hamburg gibt es eine Strasse namens Neumühlen, und an deren Ende nicht nur den malerischen Museumshafen, sondern auch das Café Elbterrassen. Dort muss man sommers dringend hin, um gesehen zu werden. Vor den Elbterrassen ist eine Art längliches Rondell, mit ein paar Parkplätzen, und im Sommer bei gutem Wetter sind die letzten drei Kilometer vor dem Rondell zugeparkt, dass kein Schnitzel mehr hochkant irgendwo dazwischen passen würde. Dennoch muss jeder, aber auch wirklich jeder, der etwas auf sich oder sein Fahrzeug hält, bis zum Rondell fahren, und dann halt wieder retour, um irgendwo eine Lücke zu finden. Motorräder, wenn zierlich hergeschraubt, haben eine klitzekleine Chance, irgendwo zur Hälfte in eine Ligusterhecke geschoben zu werden um doch noch elbterrassennah stehen zu können. Für Sechszylinder Goldwings gilt das aber auf keinen Fall.
Manni Besoffski kommt also bei etwa 30 Grad im Schatten und relativer Windstille mit seiner "Welcome To The Jungle..." brüllenden Christbaumkugel angerollt, umrundet das Rondell und nimmt aus dem Augenwinkel eine Lücke auf der schrägen Rampe hinunter zu den wenigen Stellplätzen des Museumshafens wahr. Schnurstracks umrundet er nochmal das Rondell, fährt auf die Rampe und stellt fest, daß mitten auf der Schräge ein Mercedescoupé mit Hartgeldludenfelgen so meisterlich elegant und vom Rondell aus nicht sichtbar abgestellt ist, dass eine Vespa noch mit Müh und Not daneben längsseits vorbei käme, sein Butterschiff aber nicht die geringste Chance hat, zu passieren, ohne nachhaltige Kampfspuren im Lack der beiden motorisierten Eckdaten meisterlichen Chromwirkens zu hinterlassen. Manni kommt auf der schräg abwärts führenden Rampe knapp zum stehen, etwa 45 Grad Diagonal zur Fahrbahn verdreht. Er hat immer noch den ersten Gang eingelegt, die Kupplung gezogen und stützt das Motorrad mit dem linken Bein.
Und jetzt nimmt er seinen Planungsfehler wahr:
Das Fahrzeug steht bergab, nach vorne geht nix mehr, kein Millimeter, und rückwärts bergauf schieben geht mit seinem Sechs-Zentner-Eisen und Adiletten irgendwie nicht wirklich gut. Das rechte Bein ist nicht lang genug, damit er den Boden erreichen könnte, ohne seine Fernverkehrsmurmel in eine gefährliche Schräglage zu bringen, also muss er das linke Bein am Boden lassen. Um auskuppeln zu können müsste er aber dringend den Leerlauf einlegen. Gott sei Dank hat das Flagschiff japanischer Fahrzeugbaukunst ja einen Rückwärtsgang. In Wahrheit ist das aber eher eine elektrische Rückfahrhilfe, die über den Anlasser aktiviert wird, was aber erst möglich ist, wenn das Fahrzeug umfangreich mental darauf vorbereitet wird, dass es seine halbe Tonne Lebendgewicht samt Fahrer rückwärts wuchten soll:
Der Seitenständer muß eingeklappt sein, der Leerlauf muß eingelegt sein und es muß ein Hebel, der sich links unten an der Tankattrappe befindet umgelegt werden. Erst dann kann die Maschine durch Drücken des Anlasserknopfes mit maximal 3 km/h rückwärts bewegt werden. Danach wäre auch zweifelhaft, ob der arme kleine Elektromotor den sackschweren Ömmes rückwärts die Rampe hochgezogen hätte. Schliesslich hatte sein Erfinder ihn ursprünglich als Anlasser designt, der jetzt auch noch im Dauereingriff rückwärts laufen soll....
De Facto ist also der "Rückwärtsgang" für Manni unerreichbar, weil er ja noch nicht mal den Leerlauf reinbekommt, außerdem bräuchte er die linke Hand, um wenigstens die *$)%)§&-Musik abzustellen, die Hand kann aber die Kupplung auf keinen Fall loslassen. Solang wie er die *$)%)§&-Musik noch anhat, hört ihn jedoch niemand, wenn er wenigstens peinlicherweise irgendwie auf sich aufmerksam machen will, um nach Hilfe zu suchen.
Manni war gefangen, wie die Maus in der Lebendfalle. Seine linke Hand musste die Kupplung ziehen, sein rechtes Bein die Fussbremse halten, das linke Bein die Last der Goldwing abstützen und mit der rechten Hand versuchte er irgendwie den Lautstärkeregler des On-Board-Sound-Systems zu erreichen, was aber ums Verrecken nicht gelingen wollte. Das ganze bei etwa 30 Grad im Schatten, - da war aber grade keiner - mit mattschwarzem Braincap auf der Murmel und "Appetite for Destruction" auf 120 Dezibel.
Es hat vielleicht 10 Minuten gedauert, - gefühlt ein halbes Leben - in denen Manni mit zunehmend rotem Kopf seine Lippen bewegte und irgendetwas Unhörbares schrie, was locker von seiner Hi-End-Dolby-Quattro-Surround-Wunderanlage in Grund und Boden gebrüllt wurde, bis sich ein Gast aus den Elbterrassen von seinem Gartenstuhl erhob, zu Manni rüberschlenderte, seinen Killschalter umkippte, der durchaus im Bereich des rechten Mannidaumens gewesen wäre, woraufhin der Motor ausging. Dann drehte er noch am Zündschlüssel, was auch die Musik abstellte, grinste Manni an und beschwerte sich laut genug, dass alle es hören konnten: "Alter, einen Scheiss Musikgeschmack hast Du. Kannste nicht wenigstens Motörhead spielen, wenn Du uns schon allen auf den Sack gehen musst?" Drehte sich um und liess ein schnaubendes, schwitzendes, hochrotes Manni-Häufchen Elend mit seinem Gelump stehen.
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fleisspelz am So 22 Dez, 2013 15:59, insgesamt 1-mal geändert.
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Ich bin kein Optimist. Es ist halt nur so, dass mein Pessimismus resigniert hat …