Warum der A4 Anzug gefährlich istGestern Nachmittag war es so weit. Roger rief zur Lebensmittelvernichtung nach vorausgehender Moppedherschraubung und Taktikbesprechung. Ich hatte mich aber für heute früh bereits zuvor mit dem ledrigen Claus verabredet, dass ich so um acht rum bei mir starte, um ihm den Lukas in der Nähe von Würzburg auf seinen schicken (!) Hänger zu stellen. Also dachte ich so bei mir, es wird wohl sinnvoll sein, nach dem Abendessen nach Hause zu rumpeln, weil die üblicherweise anschliessende Lebensmittelkontrolle zumeist den liquiden Bereich schottischer Provinienz ebenso ausführlich begutachtet, wie den Mediterranen rotfarbigen, was zuweilen zu anhaltender Fahruntüchtigkeit und -unwilligkeit führt. Speziell im Morgengrauen.
Also dachte ich so bei mir: "Immerhin etwas über 50 km ein Weg, das kann nach dem Abendessen nächtens, also so zwischen zehne und Mitternacht, zu dieser Jahreszeit schon frisch werden. Die Gelegenheit, den neuen A4 Anzug endlich auszuprobieren, ob er überall sitzt und nirgends was zwickt. Gesagt getan, die Etiketten abgezwickt, eine dünne Jeans angezogen (für Österreicher: eine Jean meine ich. In Österreich sagt man ja zur Hose "Hosen", wogegen man zu Jeans "Jean" sagt, das ist in Dschland umgekehrt), denn ich möchte bei Roger ja nicht fortwährend in der Winterklamotte am Tisch sitzen, ein luftiges Hemdchen übergeworfen, den A4 darüber und die hohen Winterstiefel an. So ist der gewagte Plan.
Als ich die A4 Hose oben verschliesse - natürlich habe ich den sträflichen Anfängerfehler begangen, den Bekleidungsvorgang in der Küche zu beginnen, und zwar außerhalb der Gefriertruhe - bemerke ich, wie plötzliche Hitzewallungen in mir aufsteigen. So müssen sich die Wechseljahre anfühlen, unabhängig Deines Gebährvermögens. Ich kontrolliere nochmal im Schritt, ob alles was mir wichtig ist noch dort sitzt, wo es bei Hobbyprimaten wie mir hingehört, kann aber nichts ungewöhnliches bemerken. Außer dem Umstand vielleicht, dass man kein Prostataleiden haben muss um sich im Genitalbereich komplett einzunässen. Eine A4 Hose überziehen genügt völlig.
Bis ich die Stiefel angezogen und verschlossen habe, sowie die A4 Hose darübergezogen stehe ich bereits am ganzen Körper im Saft. Nun gut. Dann also im Hemdchen nach draussen in die Garage und erst Mal ausdampfen.
Letzte überlebende Insekten fallen tot aus den Büschen, ich ziehe eine Nebelschwade hinter mir her. Kühler wird mir aber dennoch nicht. Ergo das Baumwolljäckchen, das ich unter die A4 und über das Sommerhemdchen anziehen wollte, um beim Roger nicht ganz ohne Jacke rumzustehen, weil die A4 sicher zu warm sein wird, gleich wieder ausziehen und in der Garage deponieren.
Vielleicht bringt Fahrtwind Abhilfe?
Ich wähle die Braugraun-in-Spe-Ducati aus dem Fuhrpark aus. Die hat keine wettertaugliche Verkleidung und eine sehr versammelte Sitzposition. Wenn ich mit den Klamotten auf der zurechtkomme, dann gehen sie auf jedem anderen meiner Kräder auch, denke ich mir.
Also die A4 Jacke drüber, wohlweislich trotz Abwesenheit einer Griffheizung an der Braugraun nur die Sommerhandschuhe, aber den Winterhelm. Das ist mir wichtig, um den Übergang vom Helm zur Jacke auszuprobieren. Der Ablauf war: Ducati aus der Garage schieben, Garagentor schliessen, Jacke anziehen und kwasi in der Bewegung, den Reissverschluss nach oben zu ziehen gleichzeitig auf die Ducati zu springen und beim letzten Druckknopf, der geschlossen wird bereits den zweiten Gang drin zu haben. Das Visier des Winterhelmes (Schuberth J1) habe ich Gott sei Dank offen gelassen. Es ist beschlagfrei, was bei der Menge austretenden Schweissdampfes aber komplett unerheblich ist. Es gibt physikalische Grenzen. Auch bei Körperschweiss.
Ich habe etwa einen Kilometer Stadtverkehr, bis die Bundesstrasse beginnt, dann etwa fünf Kilometer Tempo 70, dann darf ich zwanzig Kilometer weit oder so 100 fahren mit einer Ortsdurchfahrt dazwischen. Nun bin ich üblicherweise Jeanshosenfahrer. Im Winter ziehe ich meist eine gefütterte Jeans an, so einen Testosteronjüngerblaumann z.B. und halt ne Jacke für obenrum. Das bedeutet, dass ich ein sehr deutliches Gefühl für die von mir gefahrene Geschwindigkeit dadurch entwickelt habe, dass mein Körper mir mitteilt, wo es grade durch die Klamotten reinpfeifft, und wie kalt es dann an der jeweiligen Stelle wird. So wie im Sommer eben auch, nur klammer irgendwie...
Die A4 ist gnadenlos unerbittlich. Nicht die Idee von einem Hauch eines Lüftchens dringt durch die kleinste Ritze. Als ich irgendwann das Helmvisier schliesse (das von der BMW GS Gemeinde unisono als unfahrbar, weil extrem zugig, verworfen worden ist) versuche ich so irgendwie hundert auf der Landstrasse zu fahren und wundere mich über die Massen von Sonntagsfahrern die schon am Samstag unterwegs sind. Das Motorrad fühlt sich komplett anders an, als normal. Irgendwie so weich und in Watte gepackt.
Ein Freund, der vor Jahrzehnten mal Junkie war, hat mir beschrieben, was der Kick an Heroin ist. "Du fühlst Dich, als wärst Du in eine Wolke aus Watte gepackt, es gibt keine Schmerzen mehr und alles ist Dir egal. Keiner kann Dir mehr was. Geil." Prima. Nun wusste ich auch, weshalb ich nie Bock auf Heroin hatte, und brauchte es gar nicht mehr ausprobieren, weil ich den beschriebenen Zustand sowas von dermassen unerstrebenswert finde, wie kaum etwas sonst. Seit ich einen A4 Anzug habe, kenne ich das Gefühl.
Die Wärme wird kaum weniger. Mein Kopf glüht rot wie der Zylinderkopf eines Lanz Bulldog kurz vor dem Anspringen. Vielleicht sollte ich etwas schneller fahren. Schliesslich steigt die Auskühlung bei höheren Tempi schneller an. Das weiss ich gut von etlichen Winterfahrten mit untauglicher Bekleidung. Wenn Du beginnst zu frieren: Tempo senken, dann geht es meist noch eine Zeit lang. Umgekehrt sollte das ja auch funktionieren. Ein kurzer Blick auf den Tacho belehrt mich eines Besseren. Da stehen schon 150. Ohjemine. In A4-Watte gepackt mit einem - für mich als eingefleischtem Jethelmfahrer völlig zugfreien - Schuberth Helm am Schädel und einer Duc unterm Arsch, das ist wie Heroin auf Rädern. Teufel aber auch.
Bei der vorgelegten Geschwindigkeit bin ich in Nullkommanix beim Roger angelangt, springe vom Mopped und reisse mir standrechtlich alles vom Leib, wo A4 draufsteht. Die Umgebungstemperatur steigt schlagartig um gefühlte 5 Grad an, erste Krokusse halten das für das Winterende und beginnen zu meinen Füssen zu sprossen, und mir wird es langsam angenehmer. Als ich nach einer Viertelstunde ausgedampft bin bietet Roger mir einen Kaffee an. Ich nehme ihn kalt mit ein paar Eiswürfeln und sehne mich nach Würfelmilch und während der Zubereitung an der Pfanne festgefrorenem Blunzengröstl.
Die A4 ist jedenfalls bei Temperaturen oberhalb des Gefrierpunktes nur mit Vorsicht, freier Fahrbahn und wenigstens siebzig Pferden unterm Hintern, sowie völlig unerschrocken, furchtlos und immun gegen Polizeikontrollen zu ertragen. Das konnte ich gestern Nacht bei der Heimfahrt mit etwa 5 Grad Plus nochmal im Selbstversuch bestätigen. Heute früh hab ich den Lukas dann etwa 100 km in die Nähe von Würzburg bewegt, hatte Halbschuhe und eine Jeanshose an, und obenrum die A4 Jacke halb offen stehend, da habe ich mich wieder wie ein Mensch gefühlt. Einmal habe ich mich sogar getraut, mit maximal 50 durch eine Ortschaft zu fahren, ohne einen Hitzekollaps zu erleiden.
Schön...
