Sonntag abend sind Tina und ich heimgekommen. Wir waren vom Sölkpasstreffen aus für ein paar Tage nach Istrien gefahren, um Sonne zu tanken, und von dort aus über Venedig nach Hause. Ich will diese Frohnleichnamstour mitfahren, aber es ist halt finanziell alles ein wenig eng zur Zeit, also forsche ich nach ein paar Kröten. Aphrodite, der vom Tauerntreffen bekannte Schiebeseil-2CV, ist wegen unserer zweiwöchigen Abwesenheit offensichtlich so vergrätzt, dass sie uns eine Lache Öl vor die Haustüre gepieselt hat. Bei näherer Begutachtung stellt sich dann heraus, dass die Brillendichtung an den Stösselrohren vom jüngst gewechselten rechten Zylinderkopf aus irgendeinem Grund ihren zunächst sauber dichtenden Platz verlassen hat. Vielleicht wollte die ja mit in den Urlaub.
Warum ich das erzähle? Weil es in meinem Bericht um Freundschaft geht, um Demut, um Zähigkeit, um Respekt und um den freien Willen. Aber dazu später mehr...
Nachdem Tina auf der Hummel noch nicht so sicher ist, würde die Entscheidung zu fahren und Aphrodite nicht umgehend zu reparieren bedeuten, dass sie für eine weitere gute Woche ohne Auto ist. Der gemeinsam mit dem Präsidenten ausgeheckte Plan sieht vor, dass ich mit dem VW Bus und darin befindlicher Ducagiki nach Niklasdorf reise um von dort aus mit dem Uwe gemeinsam die Tour zu starten. Das bedeutet, dass einerseits in Aschaffenburg drei betriebsbereite Motorräder stehen, für die andererseits Tina keinen Führerschein hat. Ich denke also gerade darüber nach, ob ich es schaffen werde, rechtzeitig das nötige Geld aufzutreiben und dann eben nicht mit der Ducagiki zu fahren, um die 700km Anreise zum Uwe nicht mit dem VW Bus zu machen. So könnte dieser in Aschaffenburg bei Tina bleiben. Die Ducagiki soll in den VW Bus, weil ich mir die Tour überhaupt nur irgendwie leisten kann, wenn ich im Anschluss nach Wien fahre, um geschäftliches zu erledigen. Dort kann ich aber nicht nach Iltis riechend und in veröltes Leder gewandet erscheinen. Die Ducagki ist Gepäckträgerlos und hat einen Tagfahrscheinwerfer. Nachts sieht man damit genau garnichts, ausser dass das Licht eingeschaltet ist. Das muss ich sowieso noch irgendwie ändern.
Vielleicht doch die Aphrodite schnell reparieren? Das heisst, bis Donnerstag warten, bis die Ersatzteile da sind, dann mich Donnerstag Nachmittag nach erfolgter Aphroditebeschraubung in den VW Bus setzen und irgendwo in the Middle of Nowhere/Dolomiti zu den Kollegen stossen.
Vielleicht die BMW nehmen, weil die mehr Gepäckkapazität hat und eh das geeignetere Autobahnmopped ist? Aber was, wenn ich die bei den zu erwartenden Schotterpisten beschädige? Schliesslich ist sie nur in meinem Besitz, aber nicht in meinem Eigentum.
Vielleicht die Rotten Roll GSX bepacken? Bleibt immer noch die höhere Autobahngeschwindigkeit als Argument. Aber mit dem Ömmes Schotterpisten? So mit Stummellenker und Asphaltschuhchen? Immerhin würde es mir bei der am wenigsten ausmachen, wenn ich sie umwerfe, es wäre aber auch am wahrscheinlichsten, dass ich es tu....
Mein Getüm-Gespann vom Roger ausleihen? Ist zwar derzeit nicht in meinem Besitz, dafür aber in meinem Eigentum. Der Präsident hält das für suboptimal, weil wir Strassen fahren werden, für die ein Gespann eher untgauglich sein könnte, wegen breit und schwer.
Ihr merkt schon, der Bertel fehlt mir. Auf dem habe ich zwar auch keine Gepäckkapazitäten und Autobahngeeignet ist er ganz und garnicht, aber das wär mir doch wurscht gewesen. Mit dem Bertel ist das irgendwie alles irelevant. Da leiht man sich halt in Wien einen schlecht sitzenden Anzug, aber man kommt auf einem gut sitzenden Mopped daher....
Als der Knoten in meinem Kopf stetig anschwillt, und ich schon anfange aus Frustration den Müll zu trennen und den Rasen zu mähen, kommt Tina zu mir und fragt mich, ob ich nun fahre, oder nicht. Ich erzähl ihr von meinen Überlegungen und sie antwortet nur:
"Erstens habe ich eine Hummel und zweitens kann ich auch mit dem Fahrrad fahren, das Wetter soll eh besser werden."
Schwupp bin ich in der Garage und reisse die Lampe von der Ducagiki, adaptiere mit ein paar Stuhlwinkeln aus dem Baumarkt von einigen Flüchen begleitet die KLX650 Lampen/Instrumenteneinheit aus dem Schlachtmopped und reisse alle verdächtig aussehenden Kabelverbindungen aus dem Kabelbaum. Auf Nebensächlichkeiten wie Leerlaufkontrolle oder Zündschloss kann und mag ich keine Rücksicht nehmen. Schloss entsorgen, Schalter anbauen und gut ist. Jetzt noch schnell den Gepäckträger von einer Honda irgendwas aus der Kruschtelkiste anpassen und anschrauben. Sieht aus als wäre der schon immer dort gewesen. Mopped bepacken, Wienklamottenkiste in den Utz und nochmal mit Tina essen gehen. Hoffentlich kommt das Geld rechtzeitig. Mir ist noch einer eingefallen, der mir schon lange ein paar Hunderter überwiesen haben wollte. Den habe ich nochmal davon überzeugt, dass jetzt ein passender Augenblick wäre...
Mittwoch früh. Das Geld ist da, die Ducagiki steht bepackt im Utz, ich setze mich in den selbigen. Das Leben ist schön. Ich habe eine Freundin, die mich versteht und unterstützt, ich habe ein Motorrad, es gibt einen Plan.
Abends komme ich nach 700 km Autobahn (davon 680 km mit sturzbachartigem Regen und mehr als 500 km mit Wischerstufe 2) bei Uwe an. Zum ersten Mal bin ich froh, auf den Präsident gehört und nicht mit dem Gespann gefahren zu sein, obwohl das eigentlich der Plan war. 700km Autobahn mit Sturzregen machen schliesslich niemandem Spass. Wir spielen noch bis weit nach Mitternacht an der Victoria. Die hatte ich nur just4fun mitgenommen, damit keine Langeweile aufkommt und wir auch sicher was zu beschrauben haben. Ich versuche mit Uwe gemeinsam, den Kolben von der Zylinderwand frei zu bekommen, damit der Motor wieder dreht. Uwe hatte sich ja vorgenommen, früh schlafen zu gehen vor der Tour. Das klappt dann auch so um zwei Uhr früh....
Morgens gegen acht bekomme ich einen Kaffee in die Hand gedrückt und sitze eh ich mich versehe völlig in Leder gewandet auf der Ducagiki und unter mir poltern zwei Zylinder. Aaaah, es geht los, Du kannst jetzt aufwachen Justus.
Wir fahren durch das Murtal nach Graz. Unterwegs an einer Baustelle das erste 150 Meter lange Schotterstückchen. Ich verfluche im Geiste den italienischen Vollpfosten, der aus meinem Motorrad das wunderschöne 21 Zoll Speichenrad rausgerissen hat, um es durch einen pausbäckig breiten 17 Zöller mit Strassenreifen zu ersetzen. Er hat zwar versucht, das ganze unter einem randgenähten Rotkäpchen Tarnhut zu verstecken, aber davon fährt das auch nicht besser. Das Vorderrad ist nahezu unkontrollierbar, hüpft mal hierhin, mal dorthin und rutscht anschliessend noch fröhlich durch die Welt, immer bemüht, mir eine extra Portion Adrenalin in die Arterien zu jagen.
In irgendeinem Dorf ist Ende. Eine Prozession beginnt sich in einschläferndem Tempo über die Landstrasse zu beten. Uwe und ich werfen uns einen Blick zu, sind uns sofort einig und versuchen, die Prozession über den Bahnhofsparkplatz und einen anschliessenden Fussweg zu umrunden. Genau zwischen dem Kruzifixträger und einem 50 Meter voraus schlafwandelnden Polizisten donnern wir auf die Strasse zurück und reissen die Staatsmacht aus dem Halbdämmerschlaf. Mit Bierdeckelgrossen Augen guckt der uns nach und versucht zu begreifen, woher diese beiden Ausserirdischen wohl jetzt gekommen sein mögen. Als er realisiert, dass das zweite UFO ein deutsches Kennzeichen hat ist ihm vermutlich alles klar. Deppen halt.
Viertel vor zehn sind wir beim Präsident und erregen damit Aufsehen. Der ewige AiA Kalender hat einen rotgeschriebenen Eintrag mehr. Eva versorgt uns liebevoll mit Kaffee und Paul mit einem aufgeweckt fröhlichen Lächeln. Es ist Punkt Zehn und die AiA Frohnleichnahmsausfahrt 2010 beginnt. Ich bitte darum, das mit einem roten 5mm Edding in dem Kalender zu vermerken!
Wir fahren über kleine Strässchen und Schotterwege stets Richtung Westen, nicht ohne zwischendurch ein wenig den Körper zu pflegen. Vornehmlich die innwendige Pflege steht in unserem Fokus.
Ab Nachmittag versucht der Herr Präsident, uns ausreichend Gelegenheit zu geben, unsere Blasen zu entleeren, Zigaretten zu rauchen und die schöne Architektur Kärntens zu bestaunen, indem er vorgibt, an seiner Zündung rumzuschrauben.
"Des ist ja lustig, schau mal: Eternitplättchen auf dem Kirchdach und echten Schiefer auf dem Turm."
"Und was ist des da drübenauf der Sakristei?"
"Kuhfladen"
Währenddessen beim Wirten auf dem Klo:
"Supa Motorradln hobts do, Burschn. Wo kommtsn leicht her, seits Deitsche?"
"Ich schon, aber die anderen sind alle aus der Steiermark und aus Wien."
"Und da kommts um das schöne Kärnten zu bestaunen?"
"Genau, und fahren weiter in die Dolomiten."
"Gscheida ihr bleibts do, mir san nämlich a urigs Volk do."
"Aaah, verstehe. Und ich dachte die ganze Zeit, wir wären das."
Hier ein Zigarettlein rauchend, dort einen Espresso schlürfend und ein wenig Sprit nachtankend gestalten wir die wilde Fahrt lieblich. Ein Fohlen am Wegrand einer Schotterstrasse ist gänzlich anderer Ansicht und flieht aus dem Pferch. Aha, verfahren, das Viechzeug ist keine Motorradfahrer gewohnt. Der Präsident mimt weiter den Zündungsbeschrauber, bleibt hin und wieder paffzend stehen und das Fussvolk darf sich die Beine vertreten.
In Villach wird ausgiebig getankt, Visier geputzt und Kafee geschlürft, dann 50 Meter gefahren, wieder angehalten und die Regenbekleidungskollektion 2010 der staunenden Aussenwelt präsentiert. Uwe bleibt im Leder, ich zieh unmotiviert aber pflichtbewusst das blaue Jäckchen über, die Wolken lassen ein paar unmotivierte Anstandstropfen fallen, nur weil wir uns für sie so schön herausgeputzt haben und die Sonne kommt wieder zum Vorschein.
Zum Abschluss in Österreich noch eine Schotterpartie. Ich fahre ganz hinten und darf die Staubwolke der ganzen Meute inhalieren. Meine Augen sind nachhaltig beleidigt, mein Vorderrad sowieso. Dann geht es an die gefühlt siebzehnte Tankstelle des Abnends am Fuss des Plöckenpasses. Meine Augen tränen, ich sehe alles nur noch schlierig, das Vorderrad macht was es will, ich schalte auf Blümchenpflückermodus um. Auf der Passhöhe ist die Grenzstation zu Italien. Wir fahren ins Tal und biegen dort in wilden groben scharfkantigen Schotter ein, um zu unserem Lagerplatz zu kommen.
Das Zelt bauen wir im letzten Tageslicht auf und die frisch geschliffene Axt kommt zu ihrem ersten Feuerholzeinsatz. Die Zelte stehen, der Rotwein ist geöffnet, das Feuer brennt, jetzt brauchen wir noch was zum sitzen. Während der Präsident vom Herrn Koardl adjutiert seine Zünderei beschraubt - (es ist halt wie immer bei der AiA: Kaum brennt das Lagerfeuer, schon ist der erste Tank unten) - wird ein fünf Meter langer und etwa halbmeter Dicker Baumstamm it zwei Gurten hinter die Junak und die Oilfield gehängt und über den Platz gezerrt.
Bei der Steigung zum Schluss erweist es sich als vorteilhaft, die Enfield vor die Junak zu spannen. Überflüssig zu sagen, dass der Baum nach einer schwachen halben Stunde zwischen erster Idee und letztem Handgriff genau dort lag, wo wir ihn wollten.
Etliche Würschte und einige Heferl Rotwein hauchen ihr Leben am Feuer aus. Wir gehen schlafen. Mal sehen, was der zweite Tag uns bringen wird...