Unmittelbar neben unserem Campingplatz, am südlichen Rand Shkodras, thront die Festung "Rozafa" auf einem Hügel, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Legende erzählt, dass drei Brüder gemeinsam den Bau der Festung begonnen hatten. Jede Nacht jedoch stürzten, aus unerklärlichen Gründen, Teile der Mauern, die tagsüber mühsam errichtet worden waren, wieder ein. Ein alter Mann erteilte den Brüdern einen logisch klingenden Rat: Eine Frau müsse lebendig eingemauert werden, damit die Mauern fertig gestellt werden könnten und auf ewig halten würden. Die drei Brüder fanden das plausibel und kamen zu dem Schluss, diejenige ihrer Ehefrauen zu opfern, die am nächsten Tag als erste das Mittagsmahl bringen würde. Die beiden älteren Brüder schienen entweder an den eigenen Gemahlinnen zu hängen, oder die Frau des Jüngsten nicht recht leiden zu können, und warnten ihre Ehefrauen, woraufhin Rozafa, die Frau des jüngsten Bruders, als Einzige an der Baustelle erschien. Rozafa schien der Rat des alten Mannes offenbar ebenfalls plausibel und sie willigte ein, sich lebendig einmauern zu lassen, jedoch unter der Bedingung, dass eine Brust, ein Arm und ein Bein nicht mit eingemauert werden dürften, damit sie auch eingemauert ihrem neugeborenen Kind die Brust geben, es mit der Hand streicheln und mit dem Bein die Wiege des Säuglings schaukeln könne. Die meisten damaligen Gebäude Shkodras wurden inzwischen zerstört, doch die Mauern der Festung Rozafa stehen solide und anscheinend unzerstörbar vor den Toren Shkodras. Die Legende scheint also wahr zu sein.
Wir kochen uns morgens einen Kaffee, springen zum Aufwachen in den Pool und brechen dann auf, um die Stadt zu erkunden, Geld zu wechseln und eine luftige Bluse für Tina zu finden, die ihrer Onboard-Garderobe fehlt. Außerdem ahnen wir, dass man von der Ruine der Festung Rozafa einen traumhaften Ausblick auf die Gegend haben muss, also wollen wir sie besuchen. Auf dem Weg in das Stadtzentrum machen wir erste Bekanntschaft mit den lustigen Fahrideen der albanischen Bevölkerung. Wer Radfahrer in Berlin für anarchistisch hält, der lernt hier, dass der friedliebend-entspannte Nihilismus der albanischen Radfahrer viel zielführender ist. Radfahrer bewegen sich mit selbstverständlicher Nonchalance auf einer dreispurigen Hauptverkehrsader gegen die Fahrtrichtung, balancieren währenddessen abenteuerliche Lasten mit einer Hand und grüßen freundlich zurück, wenn sie angehupt werden. Anders kann das ja nicht gemeint sein. Wir finden einen Parkplatz am Straßenrand und werden von einem italienischen Tourist, der hinter uns einparkt gefragt, ob hier das Parken genehmigt sei. Wir antworten, dass wir das auch nicht wissen. Die Auskunft genügt ihm.
Müll ist in Albanien eine echte Aufgabe. Er wurde -und wird teilweise bis heute- einfach irgendwo hingeworfen, egal wie malerisch das Fleckchen Erde auch immer sein mag. Das ist in den Städten inzwischen zum Teil besser, als auf dem Land. Uns hat es häufig erschreckt. Wir haben Müll an traumhaft schönen Orten gesehen, an denen er für immer bleiben wird, weil man sein Leben riskieren müsste, um ihn zu entsorgen. Wilde Deponien gibt es in der Stadt verteilt ebenfalls an vielen Fleckchen. Umso erstaunter sind wir, wie sehr Albanerinnen und Albaner auf ihr äußeres Erscheinungsbild achten und auf ein frisch poliertes Auto. An jeder Straßenecke findet sich ein "Lavazh", bei dem Dein Auto von Hand innen und außen zum Hochglanz gewienert wird. Diese Dienstleistung kostet den Einheimischen ca. 1,80 Euro, den Touristen zwischen 3,60 und 4,50.
Alte Autos in Albanien sind zum größten Teil von Mercedes. Alle anderen Marken spielen Nebenrollen. Neue Autos prägen das Straßenbild der Städte und stammen vorzugsweise von Mercedes, BMW, Porsche oder Audi, am verbreitetsten sind SUV im Gegenwert von Einfamilienhäusern. Die Reifen der Nobelkarossen haben häufig polierte Flanken und profilfreie Laufflächen. Nachhaltige und langlebige Wirtschaftsweise wird von zahlreichen Gommistas unterstützt, die in der Regel neben einem Lavazh und gegenüber eines Cafés anzutreffen sind. Albanische Gommistas schneiden zum Teil auch Profil bei PKW Reifen nach, verstehen sich blendend auf das Vulkanisieren hoffnungsloser Fälle und sind im Preis ebenfalls genügsam. Ein Nagelloch in der Lauffläche eines Einheimischen wird für 100 Lek geflickt. Das sind etwa 90 Cent. Wir hatten unseren Vorderreifen auf die selbe Art in Rovinji (Kroatien) am zweiten Reisetag wegen eines eingefahrenen Nagels flicken lassen. Dort mussten wir immerhin knapp 6 Euro für die Reparatur berappen.
Wir tauschen an einer Wechselstube Geld und bekommen genau den gleichen Kurs, wie am Campingplatz. Nur bei Banken bekommt man weniger, weil dort fette Provisionen in Rechnung gestellt werden.
Ich sehe einen "Berber"-Laden (Herrenfriseur) und beschliesse, meinen Bart in Facon bringen zu lassen. Der Mitte 20-jährige Salonbetreiber unterhält sich in gutem Englisch mit mir. Ein anwesender anderer Kunde oder vielleicht auch Spezel wird auf dem zweiten Friseurstuhl sitzengelassen. Der junge Mann fragt sehr genau nach meinen Wünschen. Ich sage: "I just want to look a little more serious." Das quittiert der junge Mann respektvoll mit den Worten: "Yes, you are looking like Father Christmas." Ich mag den Humor. Nach etwa einer guten halben Stunde Arbeit mit Schere, Klinge, Langhaarschneider, Veilchenduft und Bartwichse verlangt der junge Mann umgerechnet 1,80 Euro. Als ich ihm statt dessen 2,70 gebe interessiert er sich für Näheres und beide anwesenden bekunden ihre große Freundschaft zu Deutschland. Die Freundlichkeit sucht Ihresgleichen.
Gleich neben dem Friseur kaufen wir ein Kilo frisches Weißbrot für 45 Cent. Tina hat um die Ecke einen Milchkaffee getrunken. Ich setze mich frisch gestyled dazu, trinke einen Espresso und bezahle für beide Getränke zusammen 1,50 Euro. Im Zentrum einer europäischen Großstadt. Tina kauft später bei einer deutschssprachigen Dame eine Bluse für 1,80 Euro. Wir bieten fast überall Trinkgelder an, die nur in der Gastronomie und beim Friseur angenommen werden.