Albanien und Balkan Sommer 22

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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Sa 03 Sep, 2022 11:38

Unmittelbar neben unserem Campingplatz, am südlichen Rand Shkodras, thront die Festung "Rozafa" auf einem Hügel, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Legende erzählt, dass drei Brüder gemeinsam den Bau der Festung begonnen hatten. Jede Nacht jedoch stürzten, aus unerklärlichen Gründen, Teile der Mauern, die tagsüber mühsam errichtet worden waren, wieder ein. Ein alter Mann erteilte den Brüdern einen logisch klingenden Rat: Eine Frau müsse lebendig eingemauert werden, damit die Mauern fertig gestellt werden könnten und auf ewig halten würden. Die drei Brüder fanden das plausibel und kamen zu dem Schluss, diejenige ihrer Ehefrauen zu opfern, die am nächsten Tag als erste das Mittagsmahl bringen würde. Die beiden älteren Brüder schienen entweder an den eigenen Gemahlinnen zu hängen, oder die Frau des Jüngsten nicht recht leiden zu können, und warnten ihre Ehefrauen, woraufhin Rozafa, die Frau des jüngsten Bruders, als Einzige an der Baustelle erschien. Rozafa schien der Rat des alten Mannes offenbar ebenfalls plausibel und sie willigte ein, sich lebendig einmauern zu lassen, jedoch unter der Bedingung, dass eine Brust, ein Arm und ein Bein nicht mit eingemauert werden dürften, damit sie auch eingemauert ihrem neugeborenen Kind die Brust geben, es mit der Hand streicheln und mit dem Bein die Wiege des Säuglings schaukeln könne. Die meisten damaligen Gebäude Shkodras wurden inzwischen zerstört, doch die Mauern der Festung Rozafa stehen solide und anscheinend unzerstörbar vor den Toren Shkodras. Die Legende scheint also wahr zu sein.

Wir kochen uns morgens einen Kaffee, springen zum Aufwachen in den Pool und brechen dann auf, um die Stadt zu erkunden, Geld zu wechseln und eine luftige Bluse für Tina zu finden, die ihrer Onboard-Garderobe fehlt. Außerdem ahnen wir, dass man von der Ruine der Festung Rozafa einen traumhaften Ausblick auf die Gegend haben muss, also wollen wir sie besuchen. Auf dem Weg in das Stadtzentrum machen wir erste Bekanntschaft mit den lustigen Fahrideen der albanischen Bevölkerung. Wer Radfahrer in Berlin für anarchistisch hält, der lernt hier, dass der friedliebend-entspannte Nihilismus der albanischen Radfahrer viel zielführender ist. Radfahrer bewegen sich mit selbstverständlicher Nonchalance auf einer dreispurigen Hauptverkehrsader gegen die Fahrtrichtung, balancieren währenddessen abenteuerliche Lasten mit einer Hand und grüßen freundlich zurück, wenn sie angehupt werden. Anders kann das ja nicht gemeint sein. Wir finden einen Parkplatz am Straßenrand und werden von einem italienischen Tourist, der hinter uns einparkt gefragt, ob hier das Parken genehmigt sei. Wir antworten, dass wir das auch nicht wissen. Die Auskunft genügt ihm.

Müll ist in Albanien eine echte Aufgabe. Er wurde -und wird teilweise bis heute- einfach irgendwo hingeworfen, egal wie malerisch das Fleckchen Erde auch immer sein mag. Das ist in den Städten inzwischen zum Teil besser, als auf dem Land. Uns hat es häufig erschreckt. Wir haben Müll an traumhaft schönen Orten gesehen, an denen er für immer bleiben wird, weil man sein Leben riskieren müsste, um ihn zu entsorgen. Wilde Deponien gibt es in der Stadt verteilt ebenfalls an vielen Fleckchen. Umso erstaunter sind wir, wie sehr Albanerinnen und Albaner auf ihr äußeres Erscheinungsbild achten und auf ein frisch poliertes Auto. An jeder Straßenecke findet sich ein "Lavazh", bei dem Dein Auto von Hand innen und außen zum Hochglanz gewienert wird. Diese Dienstleistung kostet den Einheimischen ca. 1,80 Euro, den Touristen zwischen 3,60 und 4,50.

Alte Autos in Albanien sind zum größten Teil von Mercedes. Alle anderen Marken spielen Nebenrollen. Neue Autos prägen das Straßenbild der Städte und stammen vorzugsweise von Mercedes, BMW, Porsche oder Audi, am verbreitetsten sind SUV im Gegenwert von Einfamilienhäusern. Die Reifen der Nobelkarossen haben häufig polierte Flanken und profilfreie Laufflächen. Nachhaltige und langlebige Wirtschaftsweise wird von zahlreichen Gommistas unterstützt, die in der Regel neben einem Lavazh und gegenüber eines Cafés anzutreffen sind. Albanische Gommistas schneiden zum Teil auch Profil bei PKW Reifen nach, verstehen sich blendend auf das Vulkanisieren hoffnungsloser Fälle und sind im Preis ebenfalls genügsam. Ein Nagelloch in der Lauffläche eines Einheimischen wird für 100 Lek geflickt. Das sind etwa 90 Cent. Wir hatten unseren Vorderreifen auf die selbe Art in Rovinji (Kroatien) am zweiten Reisetag wegen eines eingefahrenen Nagels flicken lassen. Dort mussten wir immerhin knapp 6 Euro für die Reparatur berappen.

Wir tauschen an einer Wechselstube Geld und bekommen genau den gleichen Kurs, wie am Campingplatz. Nur bei Banken bekommt man weniger, weil dort fette Provisionen in Rechnung gestellt werden.

Ich sehe einen "Berber"-Laden (Herrenfriseur) und beschliesse, meinen Bart in Facon bringen zu lassen. Der Mitte 20-jährige Salonbetreiber unterhält sich in gutem Englisch mit mir. Ein anwesender anderer Kunde oder vielleicht auch Spezel wird auf dem zweiten Friseurstuhl sitzengelassen. Der junge Mann fragt sehr genau nach meinen Wünschen. Ich sage: "I just want to look a little more serious." Das quittiert der junge Mann respektvoll mit den Worten: "Yes, you are looking like Father Christmas." Ich mag den Humor. Nach etwa einer guten halben Stunde Arbeit mit Schere, Klinge, Langhaarschneider, Veilchenduft und Bartwichse verlangt der junge Mann umgerechnet 1,80 Euro. Als ich ihm statt dessen 2,70 gebe interessiert er sich für Näheres und beide anwesenden bekunden ihre große Freundschaft zu Deutschland. Die Freundlichkeit sucht Ihresgleichen.

Gleich neben dem Friseur kaufen wir ein Kilo frisches Weißbrot für 45 Cent. Tina hat um die Ecke einen Milchkaffee getrunken. Ich setze mich frisch gestyled dazu, trinke einen Espresso und bezahle für beide Getränke zusammen 1,50 Euro. Im Zentrum einer europäischen Großstadt. Tina kauft später bei einer deutschssprachigen Dame eine Bluse für 1,80 Euro. Wir bieten fast überall Trinkgelder an, die nur in der Gastronomie und beim Friseur angenommen werden.
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Sa 03 Sep, 2022 11:55

Anschliessend fahren wir hinauf zur Burg Rozafa, wo wir in sengender Hitze bei gleissendem Sonnenschein traumhafte Ausblicke auf die Bleidach-Moschee, eines der ältesten und größten religiösen Gebäude Albaniens, den Campingplatz, die Stadt, die Umgebung und den nahen Lake Shkodra bewundern dürfen.

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Bleidach-Moschee

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Camping Legjenda zwischen Drin und Buna

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Shkodra

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Fluß Buna und Lake Shkodra

Nach einem erfrischenden Bad im Camping-Pool entdecke ich endlich den wahren Sinn des Mercedessterns.

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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Sa 03 Sep, 2022 14:24

Nach einem weiteren opulenten Abendessen im Restaurat Legjenda und einem anschliessenden Operettencocktail fallen wir ins Bett. Morgen soll es weiter gehen bis ungefähr Vlore ans Meer.

Autobahnen und Stadtstillstände

Am kommenden Tag brechen wir auf, um die nordwestalbanische Tiefebene zu durchqueren und an die felsige Küste Südalbaniens zu gelangen. Albanien hat etwa 400 km Küste, deren nördliche, an der Adria gelegene Hälfte für uns nicht sonderlich reizvoll ist, da es sich überwiegend um eine flachlandige Lagunenküste handelt, wie man sie zum Beispiel vor den Toren von Venedig findet. Es gibt dort hochgelobte Campingplätze, wie z.B. Pa Emer, aber eben keine spannende Landschaft drum herum. Überdies liegt Durres, der größte Industrie- und Fährhaffen an diesem Küstenabschnitt, was kein sauberes Wasser erwarten lässt. Die südliche, am Ionischen Meer gelegene Küste mit ihren schroffen Felsenklippen, der bergigen Landschaft und den zahlreichen Buchten lockt uns dagegen.

Wir durchqueren die Tiefebene zwischen Lezhe und Durres auf einer Autobahn. Die sehr gut ausgebaute Landstraße bis dorthin ist hoffnungslos überlastet, so wie die vier Polizisten, die versuchen, den Kreisverkehr inmitten von Lezhe zu entknoten. Wir stehen die letzten fünf Kilometer vor der Kleinstadt in einem Zentimeterweise fortkriechenden Stau, nach dem Verlassen der Stadt fahren wir an sechs Kilometern Stau in die Gegenrichtung vorbei. Unweit hinter Lezhe beginnt die mautfreie Autobahn. Freilich sind hier Fußgänger, Fahrräder und Mopeds auf dem Standstreifen unterwegs, es gibt auf der Autobahn eifrig genutzte Einfahrten von Privathäusern und Geschäften, Kreisverkehre und Ampelanlagen. Die Tankstellen sind durch die Bank von hierzulande unbekannten Marken betrieben. Z.B. dieser hier:

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Die Preise sind auf deutschem Niveau. Wer kostengünstig tanken will, der erledigt das in Nordmazedonien, Montenegro oder Slovenien.
"Kastrati" hat übrigens in Albanien rein garnichts despektierliches im Klang. Der Name geht zurück auf das Fürstengeschlecht derer zu Kastrioti, dem auch der albanische Nationalheld Gjergj Kastrioti entstammte, besser bekannt unter seinem Beinamen "Skanderbeg", der in wechselnden Bündnissen 25 Siege über die Osmanische Besatzungsmacht erringen konnte, weshalb der albanische Wappenadler von 25 Federn geziert wird.

Auf der Autobahn gilt ein Tempolimit von 110, für mich im Anhängerbetrieb von 70. Anfangs halte ich mich daran. Irgendwann bin ich es leid, als Verkehrshindernis angehupt zu werden, hebe das Tempo an und alle sind zufrieden. Nach den langweiligsten 130 km des Landes gelangen wir bei Durres an die Küste, die erst kurz vor Vlore ihr Gesicht verändert und landschaftlich reizvoll wird. Schlagartig fühlen wir uns in enge, italienisch anmutende Küstendörfer mit unglaublich vielen Neubauten versetzt. Der anvisierte Camping Vlora erweist sich als schmucklose und ebenso uninspirierte wie schattenfreie Schotterfläche hinter einer Wand aus Weissware. Wir fahren weiter.

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Nach wenigen Kilometern finden wir einen kleinen Campingplatz in Orikum. "Kanali Camping Orikum. "Eigentlich ist es eine abgezäunte Strandbar mit eigenen Liegen und einem dahinter liegenden kleinen Schattenwäldchen. Die Besitzerin ist freundlich, der Platz kostet nur 10 Euro pro Nacht, der Toilettencontainer ist sauber und riecht nicht, es gibt Außenduschen mit lauwarmem oder kaltem Wasser. Der Platz scheint im Aufbau befindlich.

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Wir springen kurz ins Wasser, duschen, trinken einen Espresso und schnippeln uns einen Salat. Später am Abend gehen wir zu Fuß in eine andere Bar, 500 Meter weiter, wo man uns Gemüse grillt und Wein serviert. Es beginnt in Strömen zu regnen. Als wir nach Hause kommen bemerken wir eine Stechmücke. Die wird erlegt. Dann noch eine. Und dann viele. Ich vesuche zu schlafen: Es gelingt nicht. Tina versucht die Mücken zu ermorden und gibt nach der zwanzigsten auf. Wir haben alle Luken dichtgemacht, der Ventilator arbeitet auf Höchstleistung, wir beide stecken in Ganzkörper-Seidenschlafsäcken und schwitzen uns kaputt, werden aber nichtsdestotrotz von einer Legion Mücken schier aufgefressen. Morgens um 5 Uhr kapituliere ich nach einer schlaflosen Nacht, dusche eiskalt und beginne zusammenzupacken. Als der Campingbesitzer gegen viertel sechs das Tor zur Straße öffnet starten wir zum nächsten Ziel: bloß weg hier!
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Sa 03 Sep, 2022 18:31

Zauber der Landschaften

Wir fahren mit der aufgehenden Sonne in Orikum los und werden mit leeren Straßen und gewaltigen Landschaften belohnt. Es geht ein paar Kilometer am Fuß des Maja e Çikës Gebirges entlang und dann über eine schlecht erhaltene und enge Straße zum Llogara-Pass hinauf. Das Landschaftsbild ändert sich nach beinahe jeder Kehre erneut. Die Eindrücke sind unglaublich. Auf einer Strecke von etwa 30 km Länge steigt der Pass von Meereshöhe auf 1027 m an und fällt wieder zur Meereshöhe ab. Der Aufstieg bei der Ortschaft Dukat ist steil, eng und in kleinen Kurven, der Abstieg dann in großzügigen Kehren. Der Ausblick von oben ist unbeschreiblich. Wir sind froh, den Pass zu dieser frühen Morgenstunde befahren zu haben.

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Nach dem steilen Abstieg kommen wir durch die griechisch anmutende Ortschaft Dhermi. Kein Wunder: der Süden Albaniens ab hier ist überwiegend von einer griechischen Minderheit bewohnt. Die Wanderungsbewegungen gehen seit den 90er Jahren hier in beide Richtungen: manch einer der griechisch sprechenden Minderheit sucht Arbeit im vergleichsweise reichen Nachbarland Griechenland, während so mancher griechische Rentner sich einen Alterswohnsitz im billigen Albanien besorgt hat. Dazu kommen zahlreiche griechische Tourismus-Geschäftsleute, die die attraktive Küste für ihr Business erschließen. Der Wandel ist im Gange. Bereits erschlossene Gegenden sind vermutlich nicht mehr zu retten und werden in zwanzig Jahren vermutlich aussehen, wie die Mittelmeerküste überall. Sorge bereiten mir die von der Welt abgeschotteten Luxusressorts ebenso, wie die Ballermannisierung vieler Küstenorte.

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Unser anvisierter Campingplatz liegt in der Bucht von Livadh unterhalb der Ortschaft Alt-Himare. Unser Navigationssystem, dem ich den Campingplatz als Ziel (das ihm bekannt war) eingegeben habe, schickt mich hinter der Ortschaft Vuno hinunter an die Küste. Ich fahre die enge Straße in Serpentinen bis zum Strand immer weiter und stehe irgendwann vor einem Security Mann und einem blickdichten Eisentor.
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon Meister Z » Sa 03 Sep, 2022 22:55

fleisspelz hat geschrieben:blickdichten Eisentor


Das hätt ich auch gern, wobei blickdicht ja eigentlich die Qualität bei dem Damen Strumpfhosen angibt... :floet:

weiter, ich will mehr "Fehrnweh" :smt023
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » So 04 Sep, 2022 11:03

Wir stehen am Ende einer Sackgasse mit vielleicht 5 Metern Breite vor dem Zufahrtstor zum exclusiven Soleil-Ressort, einem abgeschotteten, top-modernen Ichweissnichtwievielsterne-Schicke-Leute-Ferienbunker, der Rund um die Uhr bewacht wird. Rechts und links der Zufahrt ist alles dicht-an-dicht zugeparkt. Der einzige verbliebene Weg führt ungefähr einen halben Kilometer rückwärts um mehrere Kurven herum, zwischen parkenden Autos durch. Ich bin müde wegen der schlaflosen Nacht, bemerke ein leichtes Überlastungszittern im gehandicapten Arm und denke mir grade: "Ich bin zu alt für den Scheiss!", als der bullige Securitymann an meine Scheibe klopft. Ich öffne sie in der Erwartung einer schmucklos vorgetragenen Standpauke, dass ich unverzüglich das Tor zu seinem Ressort freizugeben und darüber hinaus hier nichts verloren hätte.

"Good Morning Sir!"
"Good Morning! Please excuse me for blocking your entrance, I think, I took the wrong way. I will turn back."
"Where do you want to go?" fragt der Wachmann mit einem warmen Lächeln in der Stimme.

"My destiny is "Camping Kranea". My Sat-Nav guided me here."
"There are many Campings if you turn round and turn right on the first crossing."
"Do you know Camping Kranea?"
"No, I'm sorry Sir, but there you will find many Campings."
Ich bin komplett überwältigt von der freundlichsten Kommunikation die ich jemals in meinem Leben mit einem fremden Securitymann geführt habe. Jetzt steige ich aus und beginne, den Wohnwagen abzukuppeln, in der Absicht, ihn von Hand zu drehen, irgendwie mit dem Zugfahrzeug dran vorbei zu zirkeln, um wieder zurück zu kommen. Der Securitymann lacht, schüttelt den Kopf, öffnet das Tor und bedeutet mir, ich solle doch auf seinem Gelände drehen. Ich fahre hinein und wende mit meinem 21 Jahre alten Rentner-Mercedes und dem 43 Jahre alten blümchenverzierten Hippiewohnwagen zwischen Maseratis, Ferraris, einem Bentley und zahllosen ladenneuen Porsche Cayenne. Es ist zwar eng, aber weitaus weniger eng, als vor dem Tor. Dennoch bin ich irgendwie heilfroh, keine Tuchfühlung zu einer der Luxuskarossen aufgenommen zu haben, und dankbar, dass in Albanien Security-Guards irgendwie ganz normale, freundliche und mitfühlende Menschen sind.

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Ich fahre zurück zur ersten Kreuzung und biege rechts ab. Bald endet der ohnehin brüchige Asphaltbelag und es geht über Schotter weiter. Ich hatte mir zwar während der Reisevorbereitungen zu Hause Bilder der Zufahrt im Internet angesehen, und hätte daher auf die Idee kommen können, dass ich nicht auf dem einzig richtigen Weg bin, aber ich bin unausgeschlafen, müde und mein Navi behauptet, es sei jetzt nur noch etwas mehr als ein Kilometer bis zum Ziel und weist mich an, die eingeschlagene Route beizubehalten.
Der Weg wird immer enger. Wir können mit dem zwei Meter breiten Wohnwägelchen so eben zwischen den Büschen durch und am Abgrund vorbei. Ich bin froh, dass er nicht breiter ist. Das eine oder andere Mal setzt der Auspuff auf. Der Untergrund wird immer steiniger und rauher, das Gestein immer scharfkantiger, die Löcher im Weg tiefer. Ich komme dennoch langsam weiter, vorbei an zahllosen Traumstränden und hier und dort zum freien Campen abgestellten Allradvehikeln aller Art. Leider habe ich kein Foto von der "Straße" gemacht. Wen es interessiert: bei google findet man diese Bild. Da sieht der Weg jedoch zahmer aus, als er in Wahrheit ist: Link
Die Landschaft rechts des Weges entschuldigt dafür für jeden Fahrbahnzustand, auch wenn ich ahne, dass die Grenzen der Möglichkeiten des Rentnermercedes genau hier sind.

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Irgendwann bremse ich vor einer Senke, die in eine der zahllosen Buchten hinabführt. Ich ahne: Das ist zu steil für das Auto, falls wir zurück müssten. Von meinem Standpunkt aus knickt der Weg etwa 30 Grad nach links ab und hat ein Gefälle von vielleicht 20% über etwa 30 Meter Länge. Dummerweise fehlt inmitten des Gefällestückes die rechte Hälfte der Fahrbahn und irgendwer hat versucht, das mit großen Felsbrocken notdürftig aufzufüllen. Ich würde vielleicht in die Senke hinabkommen und mir dabei Dellen und Schrammen am Fahrzeugboden einhandeln. Für den Fall, dass ich drehen müsste hätte ich jedoch Zweifel, mit einem Automatikauto da schmerzfrei wieder hoch zu kommen.

Es ist immer noch kurz nach sieben am Morgen und ich bin immer noch müde. Irgendwann dämmert mir, dass ich auf einem Bild des Campingplatzes ein größeres Wohnmobil mit deutlichem Überhang am Heck gesehen hatte. Das kann nicht die einzige Zufahrt sein! Ich setze etwa 200 Meter zurück, bis eine breitere Stelle kommt, an der ich den Wohnwagen abkuppeln kann, um ihn gemeinsam mit Tina von Hand zu drehen, den Zugwagen daran vorbei zu schummeln, in gefühlten 27 Zügen zu wenden und dann den Wohni wieder anzukuppeln. Auf dem Weg zurück begegnen wir ersten Badegästen zu Fuß. Wenn mir jetzt ein Auto entgegenkommt, dessen Fahrer den Weg nicht kennt, denke ich mir, dann könnte der in die Bredouille geraten: "Was soll schon sein, mir ist eben ein alter Mercedes mit Wohnwagen entgegen gekommen!"

Wir fahren die Serpentinen wieder hoch zur Hauptstraße und biegen sechs Kilometer weiter zum Strand ab. Um kurz vor acht stehen wir vor der Einfahrt zum Camping Kranea, wo um acht der Besitzer die Café-Bar öffnet, um uns mit einem Espresso und einem Milchkaffee zu begrüßen.

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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » So 04 Sep, 2022 12:12

Überraschungen

Ich entschuldige mich bei Dennis, dem Campingplatzbesitzer, der ein perfektes Deutsch spricht, dass es ansich so garnicht meine Art sei, auf einem gebuchten Campingplatz bereits morgens vor acht Uhr aufzukreutzen, dass ich aber von einer Horde von angriffslustigen Mücken dazu genötigt worden war. Dennis antwortet freundlich, hält mich aber vermutlich insgeheim für eher unentspannt. Er entschuldigt sich, dass mein reservierter Stellplatz noch belegt sei, aber bis spätestens halb zwölf sei er leer, die Vormieter hätten bereits bezahlt. Ich antworte, dass ich keine Eile hätte. Ich würde jetzt mit Tina eine Runde baden gehen, dann eine Kleinigkeit bei ihm frühstücken, und ob ich meinen Wohnwagen um zwölf auf den Platz fahre oder um zwei oder erst am Abend sei völlig unerheblich.

Kaum kommen wir vom Strand zurück, ruft mich Dennis schon herbei, ich könne nunmehr auf meinen Stellplatz. Der Campingplatz ist liebevoll mit zahlreichen Büschen, Bäumen und Blütentragenden Stauden parzelliert und hat Stromversorgung direkt am Stellplatz. Wenn es irgendeinen Wunsch gibt, vom Lagerfeuer oder Grill über den Sonnenschirm und die Strandliege bis hin zum Tisch am Meer: Dennis macht es möglich.

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Auf dem Campingplatz sind grade Mal etwa 40 Stellplätze, so dass es familiär zugeht. Es gibt ein gutes Café-Restaurant am Eingang, das keine Wünsche offen lässt aber keine Remidemmi-Bespassung. Genau das Richtige, um zur Ruhe zu kommen. Ich verrate dem Wirt, dass ich am kommenden Tag Geburtstag habe und frage ihn, ob er einen Octopus beschaffen und am Grill zubereiten kann und ob ich für den Abend des Geburtstages einen Tisch fest buchen kann. Selbstverständlich geht das. Dennis macht Vorschläge zur zubereitung, erwägt, für mich einen Tisch an den Strand zu stellen und verspricht Retsina zu besorgen. Ich habe den Mann gerade vor ein paar Stunden kennen gelernt und er behandelt mich, als sei ich ein alter Freund.

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Wir erkunden nach dem Aufbau von Wohnwagen und Vorzelt die langgestreckte Bucht von Livadh. Es gibt ein irgendwie deplaziert wirkendes Luxusressort, fünf Campingplätze unterschiedlicher Größe, zwei Tante-Emma-Supermärkte, ein Dutzend Restaurants und noch mehr Strandbars. Die Nordwestliche Ecke der Bucht ist Remmidemmiland mit nervtötend lauter Musik. Je weiter man ins hintere, südöstliche Ende geht, desto ruhiger wird es. Es stehen zwar überäll liegen und Sonnenschirme, die paarweise für etwa 5 Euro am Tag feilgeboten werden, aber niemand verlangt, diese zu nutzen. Alles ist sehr entspannt und vom Remmidemmigedudel am nördlichen Ende der Bucht ist ab der Boho-Bar in der Mitte der Bucht nichts mehr zu hören. Wer gerne ganz für sich sein möchte findet angrenzend nach einem höchstenfalls halbstündigen Fußweg auch in der Hauptsaison eine kleine malerische Bucht oder ein paar Felsklippen, wo er für sich sein kann.

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Wir essen nach mehreren Strand-Baderunden früh zu Abend und sind schon lange vor Mitternacht im Bett. Keine Mücken, keine Sorgen, keine Aufgaben. Das Leben ist schön.
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » So 04 Sep, 2022 12:42

Mein Geburtstag beginnt mit einer dieser unglaublichen albanischen Tomaten zum Frühstück, die bei absoluter Schnittfesigkeit voller Geschmack und Frische sind. So eine Tomate, ein Hauch gutes Olivenöl und ein paar Krümel Pfeffer und Salz sind ein perfektes Frühstück. Dazu höchstens noch eine Scheibe frisches Weißbrot und einen Espresso ... Ein perfekter Start in einen traumhaften Tag!

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Heute ist es windig und hin und wieder schieben sich dunkle Wolken über den Bergkamm hinter uns. Wir sehen, dass es dort regnet, bis zu uns gelangt an dem Tag jedoch kein Tropfen. Wir besprechen mit Dennis, dass es wohl für seine Idee mit dem Tisch am Strand zu windig sei und wir ganz normal in seinem Restaurant zu Abend essen würden. Dann fahren wir in die Nachtbarbucht nach Himarë, um ein paar Vorräte einzukaufen und die Stadt zu erkunden. Himarë ist ein ehemaliges Fischerdörfchen, dass sich von diesem Charme viel über die Jahre gerettet hat, wenngleich es vom Tourismus eingeholt wurde.

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Hier ist es lauter und troubeliger als in unserer Bucht von Livadh. In den Tante-Emma-Läden finden wir spannende Angebote:

Kornellkirschen, aus denen ich jetzt einen Dirndl-Likör angesetzt habe, Maulbeeren, die hervorragend zum 10%igen Joghurt schmecken, Okra-Schoten, Feigen, Mohrrübenmarmelade, hausgemachte mit Frischkäse gefüllte Pepperoni, Kartoffeln so groß wie Zuckermelonen und dennoch voller Geschmack, getrockneten Salbei, Rosmarin oder Lindenblüten, frisch duftenden Oregano, Halva und hausgemachte Kartoffelchips mit Oregano sind nur ein paar Beispiele. Ich habe Knoblauch, Zwiebeln, Kartoffeln und Tomaten mit nach Hause genommen. Der Traum geht weiter ...

Wir trinken einen Kaffee und schauen Fischern bei ihrem Tagwerk zu. Das Wasser ist auch hier klar, sauber und fischreich.

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Am Abend trinken wir einen Operettencocktail bevor wir uns das vorbestellte Octopus-Menu servieren lassen. Es ist über die Maßen köslich und würde reichen, um sechs Personen satt zu bekommen. Dennis und sein Team haben Vollgas gegeben. Ein Gedicht!

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Tina und ich staunen nicht schlecht, als abends um 9 nach dem Hauptgang plötzlich "Happy Birthday" über die Lautsprecheranlage zu hören ist und die Bedienung eine reich dekorierte Geburtstagstorte an den Tisch bringt. Ich habe sofort Tina im Verdacht, aber die streitet alles vehement ab. Hinter der Torte steckt alleine Dennis.

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Ich verteile die Torte an alle umliegenden Tische, bedanke mich bei Dennis und geniesse die Nacht.
Was für ein Tag!
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » So 04 Sep, 2022 13:12

Zauberort

Wir bleiben noch ein paar Tage und lassen uns von Dennis' Gastfreundschaft verwöhnen und erkunden zwischen ausgedehnten Badegängen die Umgebung. Vor Allem Alt-Himarë hat es uns angetan. Das neue Himarë liegt in der südwestlichen Nachbarbucht von Livadh ("Livadi" heißt auf Griechisch "der Strand"), während das alte Himarë auf dem nördlichen Berg knapp hundert Meter oberhalb des Strandes liegt. Von der alten Gemeinde ist ein kleiner Teil der Häuser gut erhalten, wieder aufgebaut oder frisch renoviert, während der größte Teil schleichend verfällt. Viele Häuser und Ruinen stehen leer, zum großen Teil, weil ihre Erben in Amerika wohnen, oder in Deutschland oder über die Welt verstreut. Es interessiert sich niemand so recht für dieses Kleinod an alter verfallender Bausubstanz mit herlichem Blick und knorrigen Bäumen.

Von der Landstraße aus kommend kann man bis zu einem Aussichtspunkt in die Schlucht mit dem Auto gelangen.

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Den Rest des verwunschenen alten Städtchens muss man zu Fuß erkunden, was ebenfalls dem Wiederaufbau erheblich im Wege steht. Wer das Istrische Motovun für eine touristische Perle hält, der ahnt schnell, welches Potential in Alt-Himarë schlummert.

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Man geniesst von hier oben einen unverbaubaren Blick über die Region und bei klarem Wetter bis nach Korfu. (Die Insel im Hintergrund des nächsten Bildes ist Korfu)

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Einige Zeit war der Ort Sitz eines orthodoxen Bischofs, als solcher ist Himara 1020 in einer byzantinischen Urkunde bezeugt. Wir konnten den Bischofssitz sogar ablichten:

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Ein Traumhaus für mich habe ich auch entdeckt. So könnte ich mir einen Altersruhesitz vorstellen, wenn das Dach repariert wäre.

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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » So 04 Sep, 2022 13:39

Ballermann

Nach einigen Tagen Premiumlangeweile und eifrigem Nichtstun mit Unterbrechungen für Müssiggang zieht es uns weiter. Ich hatte in meiner Zeit in Griechenland viele Geschichten über den Schmuggel zwischen Korfu und dem Städtchen Ksamil im Südwesten Albaniens gehört, wo die Meerenge grade Mal knappe 2 Kilometer breit ist. In den 80er und 90er Jahren, als es noch nicht möglich war, nach Albanien touristisch einzureisen und die Albaner ihr Land nicht verlassen durften, aber die Partymusik bei günstigem Wind herüberschallte und die schneeweißen Yachten der reichen Europäer vorbei zogen, lockten so manchen, der an ein Boot gelangen konnte, begehrte Waren von der Nylonstrumpfhose über Feuerzeuge oder Kugelschreiber bis hin zur duftenden Seife zu schmuggeln, im Tausch gegen getrockneten Salbei oder Auftragshandwerksarbeiten. Ich wollte unbedingt nach Ksamil, das in Terrassen über dem Meer liegt und einen wunderschönen, weitgehend autofreien Promenadenweg entlang der felsigen Klippen bietet.

Auf dem Weg passieren wir bei Porto Palermo die Einfahrt zu einem ehemaligen sowjetischen U-Boot-Stützpunkt und begegnen den obligatorischen Ziegenherden auf der Straße.

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In Ksamil angekommen finden wir einen Campingplatz direkt am Meer. "Sunset-Camping", eine Campingfläche neben dem "Sunset"-Restaurant, unmittelbar am nördlichen Eingang der Stadt gelegen. Der Campingplatz ist an sich ganz schön, aber unglaublich laut. An jedem Fleckchen Kies- oder Sandstrand werden Liegen und Sonnenschirme feilgeboten, es gibt mehrere Restaurants und zahlreiche Strandbars. Jede versucht, die jeweils benachbarte Bar mit der eigenen Dumpfmusik zu übertönen und eine große Stranddiskothek beschallt die gesamte Bucht zusätzlich bis morgens um zwei und dann wieder ab 10 in der Früh. Mag sein, das Ksamil so schön ist, wie viele schreiben. Ich kann mir das, wenn überhaupt, nur in der Nebensaison vorstellen, wenn die Bassboxen noch schweigen. Die Stadt selbst war so ganz hübsch, aber unglaublich überfüllt.

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So malerisch und preiswert unser Stellplatz auch sein mag: wir sind froh, weiter zu kommen. Ab jetzt soll es ins gebirgige Hinterland gehen.
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon Uwe Steinbrecher » So 04 Sep, 2022 14:45

Wunderbar Justus!
Das einzige Problem dass ich mit deinem Bericht habe.....Jetzt will ich selber wieder nach Albanien :omg:
Ein tolles Land.
Bin gespannt wie`s weiter geht :popcorn:
„Schlechte Vorbereitung ist eine solide Basis für Abenteuerreisen.“
Wauschi
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon superknuffi » So 04 Sep, 2022 20:59

Ja genau.
Ksamil ist aber am schönsten wenn man es im Rückspiegel verschwinden sieht.
Schade. Ein schönes Fleckchen.
Deine Einschätzung bezüglich der albanischen Bevölkerung kann ich nur teilen, und übrigens alle anderen Personen, die ich kenne, welche dort waren, auch.
Toller Bericht, beamt mich zurück und macht, ja fast, Heimweh :?
Stefan
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon hiha » Mo 05 Sep, 2022 05:22

Boah, wird Zeit dass wir auswandern. Zumindest temporär... :lol:
Gruß
Hans
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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Mo 05 Sep, 2022 09:30

Kurven. Viele Kurven.

Unser Weg heute soll die erste Etappe zum Nordmazedonischen Ochridsee werden, den ich zuletzt vor 30 Jahren besucht hatte und dessen albanisches Ufer ich bislang nicht kenne. Wir planen, über die Hafenstadt Sarande über Bistrice nach Jorgucat ins Drinotal und ab der Mündung dann weiter durch das Vjosatal bis zur Farma Sotira, die einen Campingplatz in the Middle of Nowhere betreibt. Unterwegs wollen wir einen Abstecher zu der einen oder anderen Sehenswürdigkeit einschieben. Unsere geplante Tagesetappe hat grade Mal schwache 200 Kilometer Länge. Auf albanischen Straßen setze ich dafür ohne die Pausen zwichen 5 und 6 Stunden Fahrzeit an. Auf diese Weise möchte ich sicher stellen, dass die gewonnene Erholung nicht durch selbsterzeugten Druck zunichte gemacht wird und dass genügend Zeit bleibt, einen Kaffee am Wegrand oder ein Picknick an einem malerischen Fleckchen Erde einzuschieben, ein interessantes Gebäude zu besichtigen oder auch Mal eine schöne Aussicht still zu genießen.

Bis Sarande fahren wir einem 12 Kilometer langen Stop-and-go-Stau von anreisenden Tagesgästen entgegen. Es gibt eine alte Landstraße, die "SH99" Richtung Gjirokaster, und eine neue, begradigte "Rruga Kardhiq-Sarande" noch ohne Straßenkennziffer, die wollen wir auf jeden Fall vermeiden, da sie uns als langweilig beschrieben wurde. Hinter der Ortschaft Metoq wählen wir in einem Kreisverkehr den falschen Abzweig und stellen schnell fest, dass wir wohl auf der langweiligen, gut ausgebauten und schnellen Route gelandet sind. Nach wenigen Kilometern bietet sich uns in Shijan die Möglichkeit, kurz anzuhalten. Ein Wegweiser zeigt Richtung Delvina und Jorgucat und weist eine "SH78" aus. Wir prüfen das in der Karte und beschließen, die SH78 zu wählen. Auf den ersten ca.15 Kilometern geht es kontinuierlich mit vielen Kurven über eine schmale Landstraße mit zu den Fahrbahnrändern deutlich abfallender und löchriger Fahrbahn durch drei kleinere und eine große Ortschaft mit Marktcharakter. Sehr viele Touristen haben sich hierher offenbar noch nicht verirrt und wenn, dann in einem der allenorts antreffbaren und martialisch anmutenden Allradfahrzeugen. Wir werden jedenfalls abwechselnd mit offenstehendem Mund bestaunt, noch häufiger jedoch fröhlich winkend gegrüßt. Irgendwie scheinen wir den Albanern, die hier überwiegend mit verbeulten 123er und 124er Mercedessen in jedem Verwesungszustand unterwegs sind, mit unserem alten Rentner-Daimler näher zu sein, als Fahrer von Land-Rovern vollbeladen mit Reservekanistern, Sandblechen und Dachzelten. Hinter Delvine endet die Asphaltdecke vollständig und die SH78 verwandelt sich in eine breite Schotterpiste, die stellenweise sehr steil und kurvig, aber dennoch gut befahrbar ist. Die Landschaft ist traumhaft und wir sind alleine auf der Straße. Auf den kommenden ca. 30 km begegnen uns zwei Fahrzeuge, deren Fahrer uns fröhlich grüßen. Hin und wieder steht man vor einer unbegleiteten Herde von Pferden, Schafen, Ziegen oder Gänsen, die es allesamt nicht eilig haben, die Fahrbahn zu verlassen. Verkehr wird in dieser Gegend offenbar weder von Menschen, noch von Tieren als potentielle Gefahr wahrgenommen.

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Irgendwann endet die SH78 wieder in der ursprünglich ausgesuchten SH99 und wir schlängeln uns über eine gut ausgebaute aber schmale Landstraße fröhlich hinab ins Drino-Tal. Nun geht es über die SH4 Richtung Gjirokaster, eine Nord-Süd-Hauptverbindungsstrecke, die Tirana mit Ioannina in Griechenland verbindet. Diese Straße ist breit ausgebaut und führt deutlich mehr Verkehr, als die kleinen Landstraßen bis dorthin, wenngleich es deutlich weniger ist, als entlang der Mittelmeerküste. Das Drino-Tal heißt hier Dropull und ist eine kilometerbreite Talebene, die mich an Teile des mittleren Rheintales erinnert, an beiden Längsseiten von schroffen und schwach bewaldeten Gebirgen flankiert, die nur an wenigen Stellen überwindbar sind. Ortschaften werden mit der SH4 nicht durchquert, sondern umgangen. Zumeist sind sie daran bemerkbar, dass man von entgegenkommenden Fahrzeugen mit Lichthupensignalen darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Polizei irgendwo steht. In der Regel steht ein Polizeiwagen quer zur Fahrtrichtung im Schatten neben der Straße und zwei Herren in Uniform schauen in die Gegend. Manchmal wird ein Auto kontrolliert. Zumeist einer der Hunderttausendeuro-SUVs, was mich ahnen lässt, dass die geführte Diskussion sich in der Regel um Geschwindigkeitsübertretungen drehen dürfte. Wir sind auf der Reise bestimmt an hundert kontrollierenden Polizeistreifen vorbei gekommen, aber stets in Ruhe gelassen worden. Das liegt wohl weniger an den gefahrenen Geschwindigkeiten, als an dem ersten Eindruck, den ein Rentnermercedes mit angehängter Schnarchkugel hinterlässt.
Hinter der Umgehung von Cepune wird die Straße und das Tal enger. Wir passieren ein paar Quellen, an denen eifrig Wasser in große Flaschen gezapft wird und ein offenbar sehr berühmtes Ausflugscafé, bei dem beim besten Willen kein Parkplatz mehr zu bekommen gewesen wäre.

Wenig später mündet der Drino in die Vjosa. Von Jorgucat bis hier her sind wir in Richtung Nord-Nord-West unterwegs gewesen, um ab dieser Stelle der Vjosa entlang Richtung Süd-Westen entgegen zu fahren. Die Straße hier ist zunächst eng und am rechten Rand von doppelten Leitplanken gesäumt, die mir keinen Platz zum Ausweichen einräumen. Mehrere Albaner haben die lustige Fahridee, Linkskurven zu schneiden und dabei erhebliche Teile meiner, ohnehin schmalen, Fahrbahnseite für sich zu beanspruchen. Auf den ersten 12 Kilometern muss ich vier Mal Notbremsen. Der Rentnerbenz verfügt zwar über ein ordentlich mitarbeitendes ABS, aber die Auflaufbremse des Wohnwagens lässt die Reifen des kleinen, leichten Anhängers sofort blockieren, was zu hässlichen Geräuschen führt, die den Entgegenkommenden jeweils aufwecken und zu ebenso abrupten wie lebensrettenden Kurskorrekturen veranlassen. Diesen Maneuvern sind ein Glas eingelegte, gefüllte Pepperoni, ein Glas Mohrrübenmarmelade und ein leeres Schnapsglas zum Opfer gefallen. Schade drum. Offerings to the God of Negligence.

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Re: Albanien und Balkan Sommer 22

Beitragvon fleisspelz » Mo 05 Sep, 2022 11:10

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Das Vjosa-Tal ist landschaftlich eines der absoluten Highlights auf unserer Reise. Kein Versuch, uns mittels unbeschwert-fröhlich-sorgloser Fahrideen zu entleiben kann die Begeisterung für die Schönheit dieses Fleckchens Erde schmälern. Aus Sicht des Straßennutzers ist das Tal mal enger und mal weiter, die Straße ordentlich ausgebaut, nach unserem Zwischenstopp sogar perfekt, führt durch wenige Ortschaften und ist selbst in der Hauptsaison nur wenig befahren. Die Vjosa ist der letzte europäische Fluß, der von der Quelle bis zur Mündung weitgehend naturbelassen ist, was Dank eines kürzlich beschlossenen Gesetzes offenbar Chancen hat, so zu bleiben. Jedenfalls wird ein geplantes Wasserkraftwerk nicht gebaut werden. Die Vjosa hat sich auf ihrem Weg zum Mittelmeer von Griechenland kommend selten ein breites Becken geschaffen. Meist führt sie durch landschaftlich spektakuläre Schluchten und Canyons, tief in die Gesteinsschichten eingegraben und wirkt dabei stets freundlich und hell. Das Licht Albaniens lässt mich ahnen, woher die lebensfreudige Kreativität so vieler Albaner kommt. Albaner machen es sich schön. Das war im ganzen Land zu spüren.

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Selbst bei der Trockenheit dieses Sommers führt die Vjosa stets hell-türkisfarben schimmerndes, klares Wasser. Hinter jeder Kurve erwartet uns ein Postkartenmotiv. In der kleinen Ortschaft Kelcyra halten wir für einen Kaffee an. Eine Gruppe Einheimischer sitzt um einen großen Tisch auf einer schattigen Terrasse voller stark belaubter Bäume. In Deutschland wäre das ein weit bekanntes Ausflugslokal. In Albanien findet man sowas überall, ohne das besondere Notiz davon genommen wird. Gegenüber steht ein Nadelbaum in voller Blüte.

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Der Wirt ruft einen seiner Gäste zur Hilfe, der lange in Kaiserslautern gelebt hat, damit wir auf Deutsch bestellen können. Ich hatte keine Minute lang in Albanien ein Sprachproblem. Wir trinken einen Espresso, einen Capuccino und zwei eisgekühlte Gläser Limonade, ich bezahle die Rechnung in Höhe von 360 Leke (~ 3,30 Euro) und lasse ein ordentliches Trinkgeld am Tisch liegen, weil ich hier in der Provinz schon erlebt habe, dass es nicht angenommen wurde, weil die Bedienung Trinkgeld nicht kannte und von einem Versehen ausging. Dennoch würde ich mich schlecht fühlen, keines zu geben.

Hinter Permet, kurz vor der Ortschaft Petran, verlassen wir die eigentliche Route und biegen vor der Brücke über die Lengarica, ein 37 Kilometer kurzes Nebenflüsschen der Vjosa, ab und folgen den Flußlauf, auf einem winkeligen kleinen Sträßchen, das nach etwa 16 Kilometern in einen Schotterweg übergeht. In dem nun folgenden Tal "Bënja" gibt es natürliche und aus Naturstein vor vielen Jahrhunderten gemauerte Thermalbecken mit schwefelig riechendem, warmen Wasser.

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Die Thermalquellen "Bënja" werden mit bis zu 30 °C warmem Wasser aus Erdspalten gespeist. Ihnen wird heilende Kraft für Rheuma, Hautkrankheiten und Magenprobleme nachgesagt. Sie sollen etwa 150 Liter pro Sekunde liefern und Calcium, Hydrogencarbonat, Natriumchlorid, Schwefelwasserstoff und Sulfate enthalten. Der Schwefel ist deutlich riechbar, spätestens, sobald man drinnen liegt, was wir uns nicht nehmen lassen.

Die Quellen waren schon den Illyrern und den Römern bekannt. In der Ära Enver Hoxhas gab es in Bënja wenig Badetourismus. Heute bestehen Pläne, eine Infrastruktur zu errichten, die deutlich über den aktuellen kleinen Getränkekiosk hinausgeht. Hin und wieder wird offenbar eine Parkgebühr von einem Gemeindearbeiter, in Höhe von etwa 2 Euro verlangt, wenn man bis ganz nach vorne fahren möchte. Uns spricht niemand an.

Nach einer halbstündigen Badepause steigen wir frisch vom Heilwasser benetzt in unser Auto und fahren weiter Richtung Quelle an der Vjosa entlang. Die Straße ist ab hier perfekt neu ausgebaut und extrem kurvig. Ich vermisse das Motorrad.

Irgendwann bucht sich das Handy ins griechische Netz ein, es kann also nicht mehr weit sein bis zum Abzweig Richtung Nordosten Richtung Leskovik und Kruje. An einer Kreuzung ist Leskovik nach links ausgeschildert und Kruje geradeaus. Ich bin irritiert und biege nach links ab. Die Straße wird schnell sehr schlecht, löchrig und liegt voller herabgestürzter Gesteinsbrocken. Tina wird es mulmig und sie bittet mich, umzudrehen. Nach einer Weile finde ich einen Abzweig, an dem ich genügend Platz zum Wenden habe. Kurz darauf kommt uns ein Land-Rover aus Ravensburg entgegen. Wer weiß, vielleicht denkt der sich: "Was soll schon sein, mir ist grade ein alter Mercedes mit Wohnwagen entgegen gekommen" und fährt in sein Verderben. Am nächsten Tag werden wir ihm wieder unbeschadet begegnen.

Ab jetzt wird der Straßenzustand zunehmend schlechter, aber immer noch, beinahe durchgehend, asphaltiert, wenngleich löchrig und mit einigen Randabbrüchen oder Fahrbahnabsackungen, die einen keine Sekunde unaufmerksam werden lassen. Ich muss nicht nur einmal scharf bremsen, diesmal nicht wegen entgegenkommenden Verkehrs, sondern wegen plötzlich auftretender Fahrbahnkomplikationen. Ich fürchte, mir hat die Fahrerei durchs Gebirge mehr Spaß gemacht, als Tina auf dem Beifahrersitz. Immerhin wird sie mit grandiosen Landschaftsansichten entschädigt. Die Straße ist ein ständiger Wechsel aus Steigung und Gefälle. Mal sind wir auf 200 Meter über dem Meer, mal sind es 1200 und wenig später wieder 350.

Gegen 17:00 Uhr kommen wir auf der Farma Sotira an, einem verzauberten Ort mitten im Nichts auf 1000 Metern Höhe.

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