Maybachs Ausfahrten 2023

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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Bernhard S. » Di 03 Okt, 2023 19:31

Maybach hat geschrieben:Bild


Ah ja!
Das hintere der Häuser, links weiss, rechts grau, hat mein Schwager mit seiner Familie lange Jahre zur Miete bewohnt.
3x sind sie bei Hochwasser abgesoffen in der Zeit, dann hatten sie die Faxen dick und haben in einem anderen Stadtteil Eigentum erworben.
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Bernhard S.
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Maybach » Sa 07 Okt, 2023 15:09

So, und nun fehlen mir ein paar Bilder, warum auch immer. Leider auch diejenigen des Moorland-Hotels in der Nähe von Vlotho. Es atmet ein wenig den verblichenen Charme erfolgreicherer Tage, wird aber vom Eigner-Paar mit Abstrichen weiter liebevoll betrieben. Als Stützpunkt für Erkundungen der dortigen Region sicher nicht die schlechteste Wahl. Ich habe von dort auf Anraten das Gasthaus zur Ortmühle besucht. Der Zwetschgen-Kuchen war sehr vorzüglich (da gibt es sogar ein Foto!), für den Espresso wäre man anderen Orts gehängt worden, aber die Stimmung war irgendwie sehr gelungen, auch weil die drei alten Herren am Stammtisch lautstark über die Jagd diskutierten. Das einzige Thema: Schwarzwild.

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Am folgenden Morgen ging die Reise schon wieder retour. Über Vlotho und Rinteln gings in das Extertal, das zwar landschaftlich wunderschön ist, aber motorradfahrerisch nicht an das Kalletal herankommt. Weiter ging es auf schon beannten Wegen über Wolfhagen und Fritzlar bis nach Fulda, wo ich mich dann auf die A7 gelegt habe und möglichst schnell möglichst viele Kilometer machen wollte.
Unterbrochen wurde das durch einen Besuch des von Balthasar Neumann für die Würzburger Erzbischöfe erbaute Schloß Werneck, das zwar äußerlich komplett wirkt, aber durch die Nutzung als Psychiatrisches Landeskrankenhaus seit ca. 1850 nicht mehr zu besichtigen ist. Außer dem Kircheninterieur ist auch nichts mehr original erhalten.

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Das Kircheninnere: Reinstes Rokoko!


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Blick vom Schlossrondell


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Das reich geschmückte schmiedeeiserne Tor zur Stadt hin


Dann folgte nur mehr bis Füssen eine langweilige Autobahnetappe und die letzten 100 Kilometer über Fernpass und Holzleitensattel. Nach 806 km war ich dann gesund, aber müde daheim.
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Maybach » Do 30 Nov, 2023 21:20

Ich bin noch einen Bericht zu einer Fahrt nach Umbrien schuldig. Die wurde notwendig, weil mir zuhause die Decke aufgrund privater Katastrophen auf den Kopf zu fallen drohte und sollte eigentlich weiter bis in die Basilicata führen. Eigentlich ...

Los ging es - wenig verwunderlich - über den Brenner mit einem Zwischenstopp - auch wenig verwunderlich - in der Alten Post. Das Wetter "a Traum" (um einen hier gleichfalls postenden Sektionschef zu zitieren) und ich habe dann kurz hinter Auer in der Gemeinde Margreid einen immer schon mal angestrebten Besuch bei der Pilgerkirche St. Florian absolviert. Ein mittelalterliches Kleinod, das kaum einsehbar direkt neben der SS12 liegt. Einfühlsam restauriert - ein sehenswerter Zwischenstopp, falls mal jemand dort vorbei fährt.

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St. Florian, 1100 erbaut, Apsis 1250.


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Der Innenraum. Ich fühle mich in derlei Räumen immer recht wohl. Auch die Bänke finde ich angemessen, wenngleich Kirchenbestuhlung eigentlich ja erst viel später die Regel wurde.


Weiter etschabwärts gings es an Trient und Rovereto vorbei in die Trentiner Klause. Im 19. Jh. befestigt (von Italien), obwohl das schon seit urdenklichen Zeiten ein klassischer Punkt zur Verteidigung war. Wer die deutschen Heldensagen gelesen hat, mag sich an Dietrich von Bern (i. e. der Ostgotenkönig Theoderich) und die Recken Hildebrand und Hadubrand entsinnen, die in der Klause von Bern (=Verona) titanische Kämpfe ausfochten.
Gut, das in der Festungsruine ein recht passables Restaurant ist. Vor allen die Pasta ist sehr zu empfehlen, die früher auch als Pranzo di Lavoro für die Arbeiter und die Fernfahrer verbilligt abgegeben wurden. Leider jetzt nicht mehr ...

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Ristorante La Chiusa


Etappenziel des heutigen Tages war der Ort Fratta Polesine. Ich bin weiter an Verona vorbei auf der SS12 bis Nogara und dann habe ich mich auf kleinen und kleinsten Straßen an Legnago (ehem. österreichische Festung im sog. Quadrilatero = Festungsviereck Verona - Peschiera - Mantua - Legnago, von der aber niXS mehr erhalten ist) vorbei bis nach Fratta Polesine vorgearbeitet. Warum dorthin? Dort steht einer der wichtigsten Villen von Andrea Palladio, die man auch besichtigen kann. Auch hierzu eine klare Empfehlung. Ebenso auch wie das Restaurant gegenüber, indem ich mir eine vorzügliche Pizza gegönnt habe. Etwas anderes hatten sie leider nicht. Aber die Aussicht auf die Villa Badoer ist großartig.

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Die Villa Badoer von Andrea Palladio, einer der Schlüsselentwürfe für den Villenbau in der Renaissance.


Dass das architektonische Können auch in Italien, in Fratta Polesine aber besonders, stark nachgelassen hat, das zeigt das örtliche Hotel. Seelenlos, aber mit Tankstelle. U, S und A lassen grüßen. Aber das Frühstück war typisch italienisch ...

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Das MK-Motel. Der Eingang ist übrigens ganz rechts die vergitterte "Gefängnistür". Die musste man mit einemelektronischen Schlüssel erst öffnen, dann in den Zwinger, Tür wieder schließen und dann konnte man die eigentliche Haustür öffnen.


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Das italienische Frühstück. Und der Caffè war wirklich "a Traum" ...


Danach ging es jedenfalls gestärkt weiter. Die Morgenstimmung im Po-Delta war wirklich schön, die Nerven beruhigend und wenn man sich von den Staatsstraßen fern hielt, dann war auch der Straßenverkehr eigentlich nicht existent.

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Ruhe, Gelassenheit, auch Freiheit - das strahlte die Stimmung im morgendlichen Po-Delta aus.


Ich wollte nach Forlì, um von dort in den Apennin nach Süden abzubiegen. Auf dem Weg dahin kreuzte ich mehrfach Nebenarme und -zuflüsse des Po und immer wieder war da diese Ruhe, die mich an die einschlägigen Filmeinstellungen in den Don Camillo-Filmen schon so fasziniert hatte. Brescello ist nicht so weit weg von dort ...

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Noch weiter östlich Richtung Forlì: Immer noch Ruhe, Einsamkeit, Gelassenheit. Und eine Tierwelt, die beeindruckt.


Aber irgendwie wollte ich doch wieder in die Berge und da ist die SS67 von Forlì aus eine gute Gelegenheit. Und zudem ein Beleg dafür, dass in Italien auch Staatsstraßen Spaß machen können, zumal, wenn sie in Richtung auf die Pässe führen. Also los, und ein fröhliches Schwingen hub an. Hinter Portico di Romagna dann links ab auf eine Provinzialstraße, wo ein fast schon freches Fahren möglich war. Auf den nächsten 30 Kilometern habe ich 7 Autos gezählt. Zwei davon waren die von mir besonders geschätzten Postini in ihren Dienst-Pandas (Grundausstattung). Allerdings waren wirklich viele Teilabschnitte nur noch halb vorhanden: Die Starkregen-Ereignisse des Jahren haben dort kilometerlang die halben Straßen in die Tiefe gerissen. Aber weil so wenig Verkehr war, hat es doch auch Spaß gemacht und man konnte die Honda schon bis an den Profilrand runterzirkeln. Und Wetter und Aussicht waren gewaltig!

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Im Gemeindegebiet von Bagno die Romagna


Fortsetzung folgt ...
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Bernhard S. » Fr 01 Dez, 2023 12:13

Scheint für mich eine Zeitreise zu werden... :wink:
Die meisten Ortsnamen kenne ich, war ich doch in den 80ern ständig unterwegs da.

Leider habe ich damals als LKW-Fahrer schwerpunktmässig die Industriegebiete kennengelernt, für Kultur war praktisch keine Zeit. :roll:

Und nach Ende dieser Zeit war mir das ganze Italien so verleidet, dass ich Jahrezehnte nicht mehr hingefahren bin. :omg:

Grysse Bernhard
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon bastardo » Fr 01 Dez, 2023 16:50

Die Kirchenbänke in St. Florian sind geradezu bezaubernd! :smt049
Die Reise scheinbar auch :smt023 !
Christian

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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon maulwurf » Fr 01 Dez, 2023 20:26

Schöner Reisebericht - bitte weiter :smt023

Gruß
Beda
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Maybach » Fr 01 Dez, 2023 22:20

Weiter gehts ...

In Bagno di Romagna habe ich dann auch eine kleine Stärkung zu mir genommen. War ja auch Mittag, und leider war außer der Bar kein Restaurant offen.

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Panini in Bagno di Romagna.


Solcherart gestärkt bin ich dann weiter den Apennin hinauf gefahren. Und immer noch waren die Straßen durch die Wetterkapriolen Wochen zuvor stark beeinträchtigt. Aber: Wenn früher zur Warnung auf italienischen Straßen blakende Öllampen (die mich immer an Bomben aus schlechten Filmen erinnerten) auf den Boden gestellt wurden, so ist man da heute weiter. Man nimmt temporäre Ampelanlagen.

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Die Moderne hat Einzug gehalten ...


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Und wenn man sich die Tektonik des Gesteins mal so ansieht, dann wundert man sich auch nicht, wenn da was abrutscht ...


Ich bin dann von Bagno über wirklich kleine Straßen bis auf die Wasserscheide des Apennin gefahren (die auch zugleich die Grenze zwischen den Marken und der Toskana ist) und der erste toskanische Ort war Badia Prataglia. Ab der Provinzgrenze heißt die Straße dann auch Strada Regionale 71 (früher war auch das mal eine Strada Statale) und sie führt über Bibiena nach Arezzo und weiter nach Orvieto. In Arezzo ist es eher großstadtmäßig, aber außerhalb dieser Region ist die SR71 eine wirklich schön zu fahrende Straße und ist - wen wundert's? - natürlich uralten Ursprungs. Aber ich greife vor ...

Wer mal "Der Name der Rose" von Umberto Eco gelesen hat (und ich hoffe, es hat jeder gelesen!), der mag sich erinnern an den dort relevanten Orden der Kamaldulenser. Dessen Mutterkloster Camaldoli liegt mitten im Gebirge und abgeschirmt vom Getriebe der Welt im Wald. Das ist auch logisch, denn der Orden (https://de.wikipedia.org/wiki/Kamaldulenser) ist ein eher eremitisch strukturierter Zweig der Benediktiner. Wenn man dort also mit dem Motorrad hinfährt, dann sieht man das mächtige Kloster in der Tat erst, wenn man auf dem Parkplatz davor steht.
Und es ist ein mächtiges Kloster, dessen Anfänge ins 11. Jh. reichen. Das und die Tatsache, dass man im Gebirge bauen musste, führte dazu, dass das Kloster in verschiedenen Ebenen entstanden ist. Ich bin sicher zwei Stunden dort herum gelaufen, bis ich die Struktur dieses Bauwerks in Ansätzen verstanden habe...

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Blick in den Klosterhof vor der Kirche


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Das Kircheninnere: Schwerer italienischer Barock, aber hinreißende Altartafeln von Giorgio Vasari


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Moderne Kunst in einer ehemaligen Kapelle aus dem untersten Geschoss der Anlage (11. Jh.). Diese Räume spiegeln schon ein unheimliches Wissen um Dimensionierung, Struktur, Ruhe und Raumfunktion wider.


Wie schon angerissen, bin ich grosso modo der SP71gefolgt. Nach Arezzo ging es an Castiglion Fiorentino (dort kann man übrigens auf wundervollen Schotterpfaden nach Osten ins Umbrische wechseln) und Tortona an den Trasimenischen See, wo ich die SP71 in Moiano verlassen habe, um nach Piegaro zu fahren. Dort, es ging gegen 1700 Uhr, habe ich eine kleine Pause eingelegt und noch einen Caffè eingeworfen,

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San Silvestro im Ortskern von Piegaro. Der Turm gehört übrigens nicht zur Kirche. Ich nehme an, das es eher ein Teil eines Geschlechterturms war. Dafür spricht zum einen, dass er solitär steht, zum andeeren dasss ereinen Eingang im 1. Geschoss hat und vor allem, dass die Kirche (am rechten Bildrand kaum zu erkennen) einen eigenen kleinen Turm hat.


um für die letzten rund 20 km zum Ziel in Montegiove gerüstet zu sein. Und es war soooo schön: Kein Verkehr, friedliche Abendstimmung, hinreichend Distanz zu den eigenen Problemen und die Aussicht auf ein Wiedersehen mit alten Freunden (ihn kenne ich schon seit 1978). Und mutmaßlich ein gutes Essen und guter Wein.
Und so war es auch. Es folgte ein langer Abend, bis ich mich in dem liebevoll restaurierten alten Bauernhaus (zu dem auch ein Hain mit 25 Olivenbäumen gehört) zur Ruhe betten konnte.

Der folgende Morgen begann so schön, wie der vorige Abend aufgehört hatte: Über den fernen Gipfeln des Apennin ging die Sonne auf und machte Lust auf einen weiteren Tag Motorradfahren in dieser so schönen, wenngleich rauhen Gegend.

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Sonnenaufgang in Umbrien


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Nochmals Sonnenaufgang. Mit dem Beweis, dass die Olivenernte heuer besser wird als im vergangenen Jahr.


to be continued ...
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon kahlgryndiger » Sa 02 Dez, 2023 07:47

Traumhaft :smt049
Vielen Dank dafür :smt023
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Zimmi » Sa 02 Dez, 2023 09:27

+1 :!:
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Maybach » Mo 04 Dez, 2023 21:50

Und weiter gehts mit dem Bericht.

Nach einem guten Frühstück habe ich die Honda mit leichtem Gepäck gesattelt (nur Tankrucksack), denn es war vereinbart, dass ich noch eine Nacht die Gastfreundschaft dieser lieben Menschen beanspruchen durfte. Los ging es über wirklich kleine Straßen über Pornello :shock: nach Marsciano, wo ich mir einen wundervollen Caffè gönnte und einen kleinen Stadtbummel machte. Ein vollkommen unbekanntes Städtchen, aber Theater, bezaubernde Plätze mit alten Kirchen. Aber halt im Schatten der viel berühmteren "Locations" (wie das ja heute heißt) Todi und Orvieto.

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Kirche in Marsciano


Über Fratta Todina ging es auf Vizinalsträsschen dann weiter nach Monte Castello di Vibio. Wieder so ein Ort, den man sicher nicht findet, wenn man ihn sucht. So etwas erreicht man nur per Zufall. Am Ortseingang des kleinen Örtchens, das auf einem Sporn liegt und noch deutliche Reste der mittelalterlichen Befestigungen aufweist, war die Bar des Ortes. Dort saßen auf klapprigen Stühlen zwei Herren, der eine ständig auf Sendung und der andere duldsamer Zuhörer. Immer wenn die durchaus nicht unattraktive Herrscherin des Anwesens nach außen trat, warf sich der Wortführer in die Brust, flirtete, das sich die Balken bogen - und wurde ebenso regelmäßig von der Dame des Hauses kaltlächelnd abgefertigt, machtvoll untermalt mit den in Italien ja so typischen Gesten. Kaum war die Dame wieder im Haus verschwunden, war wieder der duldsame andere Mann dran, den Wortschwall (der sich von der großen Politik bis zur letzten Heirat im Ort spannte) zu ertragen.

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Eines der Stadttore von Monte Castelle di Vibio. Ordnungsgemäß so erbaut, dass man nicht gerade durchschießen konnte.


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Das bereits gezeigte Stadttor - nun von der Innenseite.


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Ausblick vom Hügel, auf dem Monte Castello - man muss fast sagen - residiert.


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Sauber herausgeputzt - wie sich das für einen der Borghi piu belli d'Italia wohl auch gehört


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Einletztes Bild aus Monte Castello di Vibio: Hier sieht man, wie Urbanität gewachsen ist, ohne erschlagend zu sein.


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Und residieren, das kann man dort in der Bar auch auf der Toilette: Marmor und ein paar Stufen hinauf. So muss das sein ...


Von Monte Castello bin ich dann über kleine Asphaltstraßen ins Tibertal, habe diesen auf einer vermutlich in Wurzeln vorrömische Brücke überquert und bin auf den Hügel emporgeschwungen, auf dem Todi, die alte Bischofsstadt, thront. Ich muss vorausschicken: Ich war da schon ein paar mal und bin jedes Mal mit der XS bis auf die Piazza del Popolo zwischen Municipio und Duomo gefahren, um einen Caffè zu trinken. Und habe jedes Mal mit einem Poliziotto gesprochen, der mir zunächst sagte, dass man hier aber überhaupt nicht parkieren dürfe - aber dass er schon mal ein Auge auf diese bella moto werfen würde. Heute geht das nicht mehr. Die Innenstadt ist komplett verkehrsberuhigt und nur per Bustransfer oder zu Fuß erreichbar. Zumindest für Normalsterbliche..
DAs wollte ich aber in der sirrenden Mittagshitze nicht und so bin ich halt wieder abgefahren. Also wieder runter ins Tibertal, links abgebogen und schon nach wenigen Metern nach Nordwesten hinauf. Eine brauchbar ausgebaute Straße, aber eben keine Staatsstraße, sondern eine Straße die sich dann organisch dem Gelände anpasst: motorradmäßig "a Traum", wenn man dort über Quaglio, Prodo und Colonetta di Prodo nach Orvieto bewegt. Ich habe gezählt: Auf den rd. 40 km habe ich 8 Autos getroffen, davon 3 Postini. War wirklich sehr schön und nicht so monsterheiß wie unten im Tibertal.

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Die Burg von Prodo


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Ein typisch italienisches "Holzlager": Eine ausrangierte Ape, gut beladen und daher pittoresk, aber wahrscheinlich statisch nicht hilfreich aufgebockt. Stehen tut sie dort noch, weil der Ape noch niemand gesagt hat, dass die Statik nicht stimmt ...


Orvieto hatte ich gleichfalls schon mehrfach besucht, so dass ich vor Erreichen des Hügels auf der SR71 (wir erinnern uns: Das ist die Straße, die von Camaldoli ab von mir schon befahren wurde) nach Norden fuhr. Immer wieder ist die Strecke über Ficulle nach Monteleone ein nicht enden wollendes Schwingen hoch über der Ebene.


Und weil ich jetzt schon mit dem Bilderbudget an Ende bin für diesen Beitrag , gibt es halt bald noch eine Fortsetzung.
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Rostreiter » Mo 04 Dez, 2023 22:23

Wunderbar Dein Bericht - Danke!

Da kommen Erinnerungen auf: Vor 35 Jahren war ich weitläufig in Umbrien und der Toscana mit dem Heinkelroller unterwegs. Wo ich genau war kann ich mich nicht mehr erinnern, da ich damals aus irgend einem Grunde für 2 Wochen blind war. Trotzdem habe ich eine traumhafte Landschaft in Erinnerung!

Bin gespannt wie Deine Reise weitergeht!

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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Maybach » Di 05 Dez, 2023 20:38

Fortsetzung und Schluss

In Prodo hat mich auch der wirklich noch bestens erhaltene Bergfried fasziniert, weshalb hier ein Bild nachgereicht sei:

20231003_123802.jpg
Bergfried von Burg Prodo


In Monteleone ging es dann wieder seitlich ab in hügeliges und weitgehend unbewohntes Gelände. Ruhige Abendstimmung, weiter Blick, unheimlich viel Vogelgezwitscher - einfach Balsam für die geschundene Seele. Und weil ich noch ein wenig Zeit hatte, habe ich mir noch Montegabbione angesehen, den Hauptort.

20231003_135609.jpg
Montegabbione. Leider war ich zu langsam beim fotografieren, denn über diese Treppe kam mir eine beladene (!) Ape entgegen gefahren ...


Schöne, unspektakuläre Dörfer mit teilweise wahren Zimelien. Das ist es was ich so liebe dort: Es ist noch nicht alles ausgeschildert und mit großen Busparkplätzen versehen, sondern die eine oder andere Entdeckung kann man dort einfach zufällig machen. Mir ist das wertvoller für meine eigene Erinnerung als diese Hochglanz-Super-duper-highend- Touristenziele, wo dann die ganzen Influencer herumhüpfen und sinnentleerte Fotos schießen ...
Da ist mir so ein Zufallsfund einer Enduro schon lieber, der so deutlich zeigt, dass dort Jugendliche wahrscheinlich arg viel Spaß damit haben, aber noch nicht so richtig Ahnung haben, wie man einen Auspuff fürs Gelände richtig verlegt ...

20231003_135648 2.jpg
... und wahrscheinlich bewegt der Eigner dieses Geräts selbiges "wia d'Sau" ...


Ja, und dann reißen die Bilder erst mal ab, denn am Abend merkte ich schon, dass mir nicht gut war, so dass ich mich nach dem Essen gleich ablegte. Am nächsten Morgen dann hatte ich 39,8° C Fieber und transpirierte das in Mengen genossene Wasser ungebremst wieder raus. Ich wurde liebevoll mit Salbei-Tees und was weiß ich noch gepflegt, lag aber drei Tage und Nächte eher apathisch darnieder. Danach war zumindest das Schlimmste überstanden , aber allein aus dem Gästezimer ein Stockwerk nach oben zu gehen, das war schon eine Herausforderung. Schnell war klar, dass eine Weiterfahrt in dem Zustand keinen Sinn machen würde und so bin ich nach einer weiteren Nacht bei meinen Freunden Günther und Hildegard (für deren Hilfe und Unterstützung ich nicht genug danken kann!) wieder nach Norden.
Etwas zittrig und auch verhalten in der Geschwindigkeit bin ich weiter westlich über Montepulciano und östlich an Siena vorbei Richtung Pontassieve, um über Dicomano den Passo della Futa zu erreichen. Dort eine besinnliche Pause auf diesem riesigen deutschen Kriegsgräberfeld. Dort liegen >30.000 deutsche Soldaten aller Dienstgrade, meist aus den Jahren 1944 und 1945. Und wenn die letzten Zahlen aus dem unseligen Ukrainekrieg richtig sind, dann ist das am Futapass etwa ein Sechstel der in der UKR gefallenen Soldaten beider beteiligter Parteien. Unbegreiflich, aber leider vorstellbar.
Ich bin dann dort abwärts in Renotal und diesem gefolgt bis kurz vor Bologna. Und gegen 1800 Uhr hatte ich schließlich mein Hotel in Mirandola nordöstlich von Modena erreicht. Es ist dies die Residenzstadt einer der vielen oberitalienischen Renaissancefürsten-Familien gewesen, hier der Pico della Mirandola.Die Kultur spielte neben vielem anderen hier eine große Rolle, was man der Stadt in Umrissen auch noch ansieht. In Umrissen deshalb, weil sie Opfer des Erdbebens von 2012 geworden ist und immer noch großflächig hinter Gerüsten verborgen ist. Leider ...

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Teilweise sind ganze Straßenzüge noch eingerüstet ...


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Ein Poster zum Thema Krebs. Am Tag darauf ist mein Großneffe an einem Hirntumor verstorben.


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Und auch isotonische Getränke gab es in der einzig offenen Pizzeria.


Ich bin dann bald schon und ziemlich erschöpft in mein Hotelbett gesunken. Am kommenden Morgen habe ich mich immer noch recht wacklig auf die letzte Etappe heimwärts gemacht. Die entsprach eigentlich dem Verlauf der SS12 und das brachte mich - natürlich mit Zwischenstopp in der Alten Post - wieder nach Hause.

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Immer wieder schön dort. Und das Essen ist auch immer wieder gut ...


Es war eine schöne Reise, wenngleich sie kürzer,deutlich kürzer ausgefallen ist als geplant. Sehen wir das Positive: Es waren wunderschöne Erlebnisse, gute Gespräche mit alten Freunden - und ich muss erneut einen Versuch machen, Süditalien für mich zu entdecken. Und das wird geschehen.

Finis
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon Dreckbratze » Di 05 Dez, 2023 20:55

Danke!
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon superknuffi » Di 05 Dez, 2023 20:58

Chapeau Wolfgang!
Ein wunderbarer Bericht der meine unstillbare Sehnsucht nach dem Süden neu entfacht.
Danke dafür
Stefan
"Wenn man das Mopped parkt, sich beim weggehen umdreht und NICHT denkt "was für eine geile Reibm", dann macht es ja irgendwie alles keinen Sinn."
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Re: Maybachs Ausfahrten 2023

Beitragvon bastardo » Mi 06 Dez, 2023 09:27

ja, danke für den schönen Bericht! Und wie der Stefan schon schrieb: "...der meine unstillbare Sehnsucht nach dem Süden neu entfacht!" :smt049
Christian

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