von Wauschi » Mo 11 Mär, 2024 15:07
Zischend steigt eine Dampfwolke hoch, denn das Wasser hat den Krümmer erreicht. Bis zu den Knien stehe ich im Rio Cardiel und versuche das Motorrad zum anderen Ufer zu bringen. Für eine Umkehr reicht der Sprit nicht aus, wir müssen hier durch. Offroad durch Argentiniens Pampa ist alles andere als langweilig.
Vor mehr als einem halben Jahr hatte ich meinem Freund Peter versprochen mit ihm Südamerika zu durchqueren und dabei so viel wie möglich offroad zu fahren. Hier in Peru ist es einfach, eine schwierige Piste durch die Berge zu finden. In den nächsten zwei Monaten fahren wir von Machu Picchu bis Feuerland.
Pisac, Moray oder auch den farbenfrohsten aller Berge, den Cerro Colorado, besichtigen wir nur kurz. Das mit der Kultur soll man nicht übertreiben. Davon geht die Hornhaut am Hintern weg. Unser Blutdruck steigt freudig auf 200, als wir auf Satellitenbildern Pisten finden, die weder auf Google Maps, noch auf OpenStreetMap eingezeichnet sind.
Peru entpuppt sich als Paradies für Motorrad Abenteurer. Die Bergwelt ist unberührt von Tankstellen, Unterkünften, Restaurants und Kaufhäusern. Mit gekonnt eingesetzter Pantomime betteln wir tagtäglich bei Einheimischen um einige Tropfen Benzin. Essen beschaffen ist auch schwierig. Gibt es ausnahmsweise eine Tankstelle mit Mini-Shop dann schlagen wir zu, es gibt Kartoffel-Chips und Schokoriegel. Manchmal sind sogar gezwungen, Wasser zu trinken!
Um in das von Cusco nur rund 500 km entfernte Arequipa zu gelangen, sind wir rund eine Woche unterwegs. Da wir keine GPX-Tracks haben und die Strecke neu erkunden ist das Vorankommen mühsam und birgt einige Überraschungen. Kurz vor einem Tagesziel, der kleinem Ortschaft Chachas, gibt es kein Weiterkommen mehr. Die Straße ist verschüttet, auf der Umfahrung bleibe ich im Schlamm stecken, der Benzin geht zur Neige, kein Handyempfang, drei Stürze. Nachdem wir mehrere Stunden versuchen, auf knapp 5000 Hm Querfeldein einen anderen Weg zu finden, geben wir auf. Was für ein Tag! Ein ganz normaler Tag in den Anden.
Letztes Jahr berichtete ich in einigen Ausgaben der MA vom beschwerlichen Weg durch den Karakorum und Himalaya bis zum Mt. Everest. In Asien gibt es schöne Berge, doch die Gipfel der Altiplano sind für mich unübertroffen. Auf den wenigen verfügbaren Straßen im Himalaya sind unzählige LKWs und Touristen unterwegs. In den Anden ist die Bergwelt endlos, unberührt und durchzogen von tausenden einsamen Schotterpisten. Nirgends habe ich mich je so frei gefühlt wie hier.
Pflicht-Ziel ist die Salar de Uyuni in Bolivien, die größten Salzwüste der Welt. Wir reisen auf der wenig bekannten chilenischen Strecke an und wollen dann auf der Rally Dakar Strecke von 2015 die Salar von West nach Ost durchqueren. Das Problem dabei ist, unsere Motorräder benötigen für die knapp 400 km rund 40 Liter Sprit. Doch hier gibt es keine Tankstelle. Stunden verbringen wir in Ollagüe, der größten Stadt der Region, damit, von Tür zu Tür zu gehen und nach Treibstoff zu betteln. Der Trick dabei ist, um nur „cinco litros“, fünf Liter, zu fragen und erst bei Erfolg, die Anforderung zu erhöhen. Wer im Projektgeschäft tätig ist, der kennt das. Wenn man gleich mit der Tür ins Haus fällt: „lo siento, no tenemos“ – nix haben Sprit.
Stellt euch den Bodensee wie eine große, weiße Leinwand vor – nur ungefähr 20-mal größer. Auf dieser weißen Leinwand kann man sich mit dem Motorrad frei bewegen. Die Krux daran: aufgrund der Erdkrümmung verliert man einen Reisepartner nach einigen Kilometern Abstand aus den Augen. Er verschwindet auf Nimmerwiedersehen hinter dem Horizont. Hält der Partner, um zu trinken, das Schuhband zu binden oder muss lulu (Dt.: pinkeln) – du findest ihn nie wieder. Aus diesem Grund ist es im Fall einer Panne auch sehr unwahrscheinlich auf der Salar gefunden zu werden. Diese Abgeschiedenheit stört uns nicht, im Gegenteil, selten hat uns das Fahren mehr Spaß gemacht als hier!
Würde Alpinestars wissen, wie zäh Lamafleisch ist, würden sie daraus Motorradstiefel machen. Gestärkt durch ein „menú con carne“ nehmen wir die rund 400 km lange Lagunenroute durch den Eduardo Avaroa Nationalpark in Angriff. Über 6000 m hohe Vulkane dominieren das Erscheinungsbild der Strecke am Hochplateau. Aufgrund der Höhe, Kälte und vor allem der nicht präparierten Sandpiste habe ich großen Respekt vor dem Teilstück. Auf einer früheren Reise kostete es meiner Frau und mir drei anstrengende Tage, die Strecke zu bewältigen. Inzwischen habe ich meine Lektionen gelernt. Auf der leichten, potenten 690er fliegen wir regelrecht über die Piste. Sandstücke, in denen ich damals stecken blieb, durchfahre ich mit über hundert km/h.
Nach nur sieben Stunden sitzen wir in San Pedro bei einem Hopfen-Malz Energydrink und sehen zu, wie hinter der Atacama-Wüste die Sonne verschwindet. Unsere Motorräder verursachen ein Dilemma. Einerseits möchten wir eine Fahrpause einlegen und so die Schönheiten der Landschaft genießen, andererseits macht es unbeschreiblichen Spaß, am Gasgriff zu drehen. Das Drehen am Gasgriff gewinnt. Morgen fahren wir weiter, Pausen gibt es später irgendwann. Vielleicht.
Bisher hielten sich die Ausgaben für Essen, Trinken und Unterkünfte in Grenzen, doch in Chile wird unser Portemonnaie von akuter Magersucht befallen. Preise wie in Europa sind selbst in Europa nicht akzeptabel. Wir entscheiden, so viel als möglich auf der kostengünstigeren argentinischen Seite der Anden weiterzufahren und entdecken den Trans Trail Argentinien. Der TTA ist eine 9000 km lange Route von Bolivien bis Ushuaia, der südlichsten Stadt. Das Besondere an der Route ist, sie verläuft abseits der Hauptstraßen und hauptsächlich offroad.
Bei Susques, an der bekannten Ruta 40, inhalieren wir das erste Mal argentinischen Staub. Welch ein Genuss! Die Schotterpisten sind in großartigem Zustand und teilweise breit wie eine Autobahn. Da wir auf der Piste fast immer allein unterwegs sind, kommen wir schneller voran als auf den Highways. Als zweites Highlight entdecken wir die „Camping Municipal“ Campingplätze der Gemeinden, die uns für kleines Geld beherbergen. Und dann gibt es noch Wein, Steaks und viel Sonne – wir schließen Argentinien ins Herz.
An einem kleinen Grenzposten bei Futaleufu kreuzen wir zurück nach Chile um der rund 1300 km langen und vermutlich schönsten Straße Chiles, der Carretera Austral, zu folgen. Gerne würde ich schreiben, wie hier Motorradfahrer aus aller Welt zusammentreffen, doch nur eine Handvoll gleichgesinnter kreuzt unseren Weg. Die Carretera Austral scheint das Mekka der Radfahrer zu sein! Jeder, der einen Drahtesel besitzt, ist hier unterwegs. Der Wahnsinn ist, die Gegend ist fast nicht besiedelt, immer kalt und gesegnet mit 200 Regentagen im Jahr. Nach einem regnerischen Tag nehmen wir uns (mürrisch) ein Zimmer und heben die Stimmung mit einem Schluck kaltem Bier. Die Radabenteuer übernachten im Straßengraben und hoffen vermutlich auf den bald einsetzenden Tod. Die Radfahrer sind für mich die wahren Helden der Carretera Austral.
Im Süden, kurz vor Villa O'Higgins, durchquerten wir den tiefgrünen Magellanischen Regenwald. Schneebedeckte Berge und Seen fassen diesen einsamen Abschnitt ein. Sturm, Nebel und das nasse Wetter lassen hier das Thermometer selbst im Sommer nur zögerlich in den zweistelligen Bereich klettern. Jedes Kleidungsstück krame ich hervor, lege es an und fahre wie der Michelin-Man – ein von oben bis unten mit Dreck verschmierter Michelin-Mann mit böser Mine und zerzaustem Bart. Beim Fahren klappern die Zähne so laut, ich kann den Motor kaum hören. Egal wie schön es hier ist, ich will die Nässe und Kälte nicht mehr ertragen. Nach nur einem Tag in Villa O'Higgins brechen wir in das wesentlich wärmere, auf der anderen Seite der Berge liegende El Chaltén auf.
El Chaltén ist nur 100 km Luftlinie entfernt, doch die Strecke dorthin ist mehr als 1000 km lang. Patagonien ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hier gilt, der Weg ist das Ziel! Genau das wird uns bewusst, als wir dank TTA den unscheinbaren Paso Rodolfo Roballos passieren und statt der beliebten Ruta 40 der Ruta 41 zum Perito Moreno Nationalpark folgen. Wir passieren Herden von Wildpferden, tiefblaue Seen um die Lamas grasen, unberührte Berglandschaft und das Wichtigste, eine einsame Schotterpiste nur für uns allein. Gefühlt hundertmal halte ich an, um mit Bildern den Moment einzufangen. Es ist, als hätten wir mit dem TTA und dessen einsame Routen einen Schatz entdeckt, der tagtäglich neue Überraschungen birgt.
Jedes österreichische Kind weiß, die schönsten Berge sind in Österreich. Als einige Kilometer vor El Chaltén das Massiv des Mt. Fitz Roy auftaucht und wir mit den Motorrädern direkt darauf zufahren, vergesse ich kurz meine Herkunft. Wir müssen anhalten. Es ist nicht möglich weiterzufahren, ohne die Berge wirken zu lassen. Treffenderweise bedeutet El Chalten in der Sprache der Tehuelche-Indianer „rauchender Berg“. Und wer Fitz Roy mit dem Kapitän der HMS-Beagle und Chales Darwin in Verbindung bringt, liegt richtig. Allerdings waren Darwin und Fitz Roy ohne Motorrad unterwegs, vermutlich kennt deshalb ihre Berichte kaum jemand.
Der kleine Ort El Calafate ist der Ausgangspunkt zur drittgrößte Süßwasserreserve der Welt, dem Perito-Moreno-Gletscher. Es ist beeindruckend in greifbarer Nähe eines gewaltigen Gletschers zu stehen und zu beobachten, wie er wie in Zeitlupe kalbt. Zu dem Zeitpunkt sind unsere Gedanken jedoch bei Peters Kettenrad. Regelmäßiges Zähneputzen hat nichts geholfen. Nach 20.000 km fallen die Zähne aus. KTM-Teile sind in Patagonien nicht zu bekommen, KLR-Teile aber schon. Wer hätte gedacht, dass Kawasaki-Teile nach etwas Bohren auf eine KTM passen. Not macht erfinderisch.
Selbst wenn ich nur davon berichte, muss ich husten. Die Piste in den Torres Del Paine Nationalpark besteht aus so feinem Staub, ein Furz reicht, um dieses Puder aufzuwirbeln. Zwischen den Motorrädern halten wir einen Kilometer abstand, um nicht zu ersticken. Torres Del Paine ist beliebt für ausgiebige Wanderungen, auch wir laufen zu Fuß herum, aber mit dem Benzinkanister. Unser Benzinvorrat hat nur gereicht, um uns hierherzubringen. Die Reichweite unserer Motorräder ist eine Schwachstelle, die wir gut kennen. Was wir einkalkuliert haben, ist die oft schlechte Qualität des Benzins. Der mit Methanol oder sonstigem Klump versetzte Sprit verringert unsere Reichweite oft um 20%! Kurz nach Dunkelheit taucht der Chef des Campingplatzes mit zwei Cola-Flaschen mit Benzin auf. Erleichtert kann es weiter gehen.
Ich gestehe, ich bin kälteempfindlich. Bei kalt und nass hört bei mir der Spaß auf. Torres del Paine ist nur rund 1.600 km Luftlinie von der Antarktis entfernt und eine Kaltfront ist in Anmarsch. Für mich heißt das nichts wie rauf auf die Motorräder, um dem Regen zu entkommen. Zumindest ein paar hundert Kilometer bis über die Magellan Straße nach Feuerland wollen wir es schaffen.
Feuerland überrascht uns. Auf Satellitenbildern wirkt Feuerland durch die unzähligen zerklüfteten Inseln und Kanälen aufregend. Dort angekommen ist das Fahren eher langweilig. Kein Baum hier, kein Baum dort, freie Sicht bis zum Horizont. Das Land ist flach, lediglich kurz vor Ushuaia gilt es einen kleinen Bergkamm, der selbst im Sommer oft schneebedeckt ist. Es ist kalt, dreckig, nass. Und ich trage immer noch meine gesamte Michelin-Mann Kleidersammlung. Die Straße in Tierra del Fuego ist (leider) gut ausgebaut.
Ushuaia konkurriert mit dem definitiv südlicher liegenden Puerto Williams, um den Titel die südlichste Stadt der Welt zu sein. Puerto Williams ist aber viel kleiner und schwerer zu erreichen. Bequemlichkeit siegt! Deshalb ist Ushuaia unser südlichstes Ziel. Die 64.000 Einwohner Stadt ist modern, hat asphaltierte Straßen und sogar China-Restaurant. Wir fragen uns wie all die Häuser, Autos und Menschen an diesen entlegenen Platz kommen. Tausend Kilometer nicht ein Baum und dann ist da eine richtige Stadt mit unzähligen Touristen.
Mit Pizza, die jeden Italiener ins Grab bringen würde und Wein, dessen Aromastoffe nur Tetra-Pack so einzigartig entfalten kann, feiern wir den Abschluss unserer Reise. Nach fast vier Monaten und rund 28.000 km ist unser Hintern mit Eindrücken regelrecht überladen.
Mein Tipp: Nehmt euer Motorrad und brecht auf! Ein Schuhhersteller bringt es auf den Punkt: One Life – Live it!
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