Soderle,
damit ich nicht wieder die kleinen, feine Dinge im Urlaub vergesse bzw. zeitlich nicht mehr zuordnen kann, dann mal einen chronologischen Reisebericht. Das tröpfelt -so der Plan- hier dann mal nach und nach rein.
Der Plan:
14 Tage, ein Dieselkrad mit 11PS an der Kurbelwelle und "etwas" Gepäck. Zielrichtung Nordskandinavien, eigentlich vorzugsweise Finnland, aber die eigentliche Reisentscheidung wird wie immer unterwegs getroffen. Inari-See in Nordfinnland und Lofoten in Nordnorwegen sind so zwei Punkte, die mir im Hirn rumspinnen. Das berühmte Nordkap(p) als Wunschziel vieler Motorradfahrer, Womo-Kapitänen usw. reißt mich nicht mehr vom Hocker. Zuviel darüber gelesen, zuwenig davon positiv. Aber vielleicht wird das ja unterwegs noch anders und ich "muss" da dann doch hin.
Die letzten Tage vor der Abfahrt sind wie immer hektisch. Es muss so einen Arbeitstroll geben, der immer kurz vor einem Urlaub das Chaos anschürt. Es bleibt keine Zeit für langes Lesen von Reiseführern usw. Das Gepäck im Arbeitszimmer aufschichten, das Krad mehr schnell als detailverliebt serviceieren, die fetten Aluboxen anspaxen und -daüber werde ich noch kreuzfroh sein- die Winterverkleidung "Nasenbär" anhängen.
Wenige Tage vor der Abreise dann noch einen Blick ins Netz zum ADAC und dessen Stauprognose: Das schlimmste Stauwochenende des Sommers wird angekündigt und ich soll da meinen Teil wohl zu beitragen. Kürzen wir es an dieser Stelle ab: Das Daumendrücken, dass `Schland Samstag um Platz 3 bei dieser Weltkommerzveranstaltung kickt und nicht Sonntag das Finale bestreitet hat mir wahrscheinlich unwissentliche Anfeindungen von Millionen eingebracht, hat aber genützt. Und ich hatte auf dem ganzen Hinweg keinen Stau, sondern eigentlich recht leere Straßen.
Dass es auch am Samstag noch einer der heißesten Tage des Jahres mit Temoperaturen über 36°C werden soll, ist dann halt so...
<Einschub: Der Nachtreisezug von München nach Hamburg ist nur vermeintlich eine Alternative. Wer nicht Monate vorher bucht, hat im Sommer keine Chance auf einen sicheren Platz. Und wie mir Leute unterwegs berichteten, sollte der Nachtzug nicht gerade kühl, dafür aber voll mit Schulklassen gewesen sein. Dann doch lieber selber fahren...>
Und los:
Nun ja, vor dem Losfahren haben die Götter das Packen und die Beladung gesetzt. Da gut die Hälfte eines Seitenkoffers mit Werkzeug und Ersatzteilen gefüllt ist und ich an dem Punkt mit mir auch nicht diskutiere, wird der Packraum wieder zum limitierten Faktor. Nach 3x Umpacken und Sortieren, meine ich dann, dass Unumgängliche dabei zu haben. O. K. , es war wieder zuviel, aber dass ich eine Daunenjacke und die Winterfutter für Motorradjacke und -Hose mitgenommen habe, war eine gute Idee.
Start am Samstag so um kurz nach 6 in der Früh.
Der beladene Bock fährt sich furchtbar. Wie eine Gummiwurst. Aber das Gefühl gibt sich erfahrungsgemäß.
Nach 20km Autobahn der erste Schreck. Einige Bodenwellen, etwas spurrillig und es schaukelt die Kiste auf, dass ich denke, eine Reifen ist geplatzt. Gerade noch so bekomme ich das Ungetüm bockig auf dem Seitenstreifen zum Halten. Uff! Jetzt bin ich mal wach...
Keine Reifenpanne zu sehen, kein gebrochener Rahmen, sondern einfach nur ein schweres Krad mit bekannt beschissenem Fahrwerk.
Also weiter und etwas experimentiert. Immer wenn der Bock wieder anfängt zu schaukeln, das Gas NICHT wegnehmen. Lenker nur locker halten und nicht festkrallen und die Knie voll gegen den Tank pressen. Schon ist Ruhe.
Was macht man so auf fast 1.000km Dosenbahnfahrt? Nix!
Meine übliche Hauptunterhaltung, das Überholen von LKWs ist fast gestrichen. Es herrscht LKW-Fahrverbot. Also müssen Wohnmobile älteren Baujahrs und Campinggespanne, vulgo Imbissbuden dran glauben. Ich zuckel so mit 95 bis 100km/h dahin, wenigstens keine Gegenwind. Der übliche Rhythmus stellt sich ein; so alle 50 bis 80km je nach Lust eine Kippe, alle 100 bis 150km einen Kaffee. So eine Stunde lang habe ich Walkman -ähh- MP3-Player gehört, aber das hat mich dann genervt. Es wird langsam richtig warm. Das schattig, fern der Motorwärme montierte Thermometer erreicht die 30°C. Ich schwitze und zum Kaffee kommt immer noch ein halber Liter Wasser in mich rein.
Bei Schweinfurt dann mal eine meiner Lieblingsbeschäftigungen auf langen Reisen: Essen auf diesen neumodischen Autohöfen neben der Bahn, immer im Industrie- oder Gewerbegebiet und fast immer mit MCDoof. Es ist einfach großes Kino, die Reisenden beim Einfall in MCDoof zu beobachten, einen gut trinkbaren Kaffee zu schlürfen und irgendeinen Pampf zu essen. Die Kinder sind völlig überdreht von stundenlangem Stillsitzen in der Dose, Vatern ist genervt, weil es sich ungewohnt stundelang mit seiner Familie auseinander setzen muss und Muttern versucht -vergeblich- das Chaos zu organisieren. Nach 10 Minuten sind die Kinder mit einer Mischung aus tropfender Eiscreme und Ketschup eingesaut, der mütterliche, fest an der Hand angewachsene Familienputzlappen versorgt dreckige MCDoof-Sitze, Kinderhände und Kindermünder und Vatern studiert wichtig die Reisekarten.
Oder es kommt das unsägliche Ehepaar auf "Bikes" um die Ecke. Er voraus auf einer neuen BMW-GS oder einer jabbbananischen Reisesäge mit 44.000 Ventilen und mindestens so vielen Zylindern. Sie auf einer 650er BMW, die ihr trotz ewiger Abpolsterung der Sitzbank, so dass die Mitte der Maschine schon fast wie ein Loch aussieht, immer noch viel zu hoch ist. Er immer vorweg und munter, aber mit verkniffenem Blick in sein Helmmikro braselnt, sie immer hinterher. Er vermeintlich der tolle Biker, der aber nur besser kaschieren kann, dass er auch nur am Sonntag-Vormittag seine 150km auf bekannter Strecke abrollert, sie völlig überfordert mit dem Krad und ihre alle zwei Stunden drohende Tagesaufgabe angstvoll erzitternd; das Ding muss in die Parklücke, sie muss heil da runter und der Bock muss auf den Ständer. Erkennungszeichen dieser Pärchen: Rukka- oder BMW-Klamotten und die montierten Topkäs sind etwa doppelt so breit, wie das ganze Motorrad.
Dieses Pärchen unterhält sich bei MCDoof nicht; nach dem Urlaub wird er seinen Freunden berichten, wie toll es war, aber dass er wegen seiner Frau nicht mehr als 250km/Tag fahren konnte, wo doch 300 geplant waren. Sie wird ihren Freundinnen von unglaublichen Abenteuern berichten, die sie ganz alleine gemeistert hat. Er wird sich ein Jahr auf eine Tour mit seinen Motorradfreunden freuen, die nie was wird, weil sie doch mit will. Sie wird sich 1 Jahr auf eine Kicherreise mit ihren Freundinnen freuen, aber sich dann doch entschließen, ihm auf der Reise ins Alpenvorland/die Nordseeküste zu folgen und ab diesem Entschluss wieder dem Aufstellen des Krades auf den Ständer entgegenfürchten. Unglücklichere Pärchen hab ich nur noch bei deren gemeinsamer Radtour erlebt, bei der er den ganze Tag so 150m vor ihr fährt...
Gaaaanz großes Kino und DIE Unterhaltung auf Tour. Man wird ja anspruchslos auf 1.000km Dosenbahnfahrt mit dem Dieseligen Diesel.
Ein neues Unterhaltungsprogramm stellt sich ein. Der Amperemeter schlägt ab und an voll ins Negative aus. Definitiv ein heftiger Kurzschluss im Kabelbaum. Hatte ich vor Wochen schon mal, aber bin der Ursache nie auf den Grund gekommen. Wildes Wühlen im Gedärm der Leitungen hinter der Lampenfassung während der Fahrt können das Gezucke der Amperemeternadel immer wieder für einige Zeit abstellen, aber es kommt doch wieder. Nach so 200km ohne Kabelbrand oder Schäden ist das Übel plötzlich verschwunden und kommt so auch bis zur Heimreise nicht wieder.
Es ist sauheiß! Erste Überlegungen, sämtliche Sicherheitsbedenken über Bord zu werfen und in Treckinghose und T-Shirt weiter zu fahren, werden verworfen. Wohin mit dem Motorradklamotten?
O. K., die Handschuhe verschwinden dann mal im Tankrucksack, die Jacke wird an den Bündchen geöffnet und wenn ich den Lenker links ganz außen am Ochsenauge halte, strömt Fahrtwind in den linken Ärmel, zieht am Rücken vorbei und am rechten Ärmel kommt ein heißer Föhn hervor; die warme Luft aus der Jacke. So geht das einigermaßen; das Thermometer zeigt bis zu 37°C.
Ich komme Richtung Hamburg. Keinen Bock, an dem vermeintlichen Superstauwochenende auf den Autobahnen rund um die Stadt zu stehen. Also runter von der Bahn und HH weiträumig östlich umfahren. Dass ich dabei Kuddewörde tangiere und den Dirk kurz besuche, ist eh klar. Zu gerne wäre ich weiter in seinem kühlen Haus sitzen geblieben und hätte 1 bis 5 Hopfenkaltschalen vernichtet. Aber ich habe ein Tagesziel und keine Lust, Sonntag mit der zweiten Reisewelle am späten Vormittag in Puttgarden stundenlang auf einen Platz auf der Fähre nach Dänemark zu warten. Also weiter.
Ich erreiche gegen 20 Uhr nach 940km Puttgarden. Noch mal rasch zu MCDoof, ein Kaffee und beobachten, wie gegen 20.15 Uhr die Massen hektisch werden und die Lokalität verlassen. `Schland spielt um 20.30 Uhr.
Der Campingplatz neben dem Fähranleger ist eine Mischung aus Dauerzelter und Fährenwarterei. Irgendwie klasse. Es ist nur verdammt ruhig dort. Alle hocken sie in ihren Kisten bzw. in den Zelten vor dem des Wohnzimmers entraubten Fernseher. Ab und an eine dieser unsäglichen Tröten, aber sonst himmlische Ruhe. Ich geh dann mal Duschen und noch ein kurzer Spaziergang am abendlichen Strand.
OllY