Uwe und ich sahen uns kurz an.
"Ob wir das nochmal ohne Kette schaffen"
"Schaumermal, wenn nicht montieren wir sie halt ..."
Uwe nickt mir zu, ich soll losfahren. Urban und er folgen nach.
Ich tobe los, mit der genialen neuen Skibrille von Frau Moscher ausgerüstet, und von der Idee angetrieben, die beiden säßen mir eh gleich im Nacken, weil sie ja wissen, dass ich bergab immer eher verhalten unterwegs bin. Von vorne kommt Licht. Mehr quer und eifrig turnend kommt mir Friedhelm mit seiner Guzzi entgegen. An den frischen Spuren im Neuschnee kann ich erkennen, dass er schon einige Zeit gekämpft hatte und mehrfach stecken geblieben war. Als ich an der Lichtung angekommen immer noch keine gelben Lichter hinter mir sehe, denke ich mir: "jetzt gilt's Burschen" und erhöhe mein Tempo bergab, weil ich mir denke, vielleicht schaffe ich es, einmal nicht im Weg rumzustehen bis zur Mautschranke ...
... und es gelingt! Mir ist zwar mächtig warm geworden, und drei Mal war rechts rum das Seitenwagenrad in der Luft, aber das Gefühl, eine Art "Sieger" zu sein, so als Nichteingeholter ist schon schön. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis ich begriff, dass das Rennen wohl nur in meinem Kopf stattgefunden haben musste. Nach einer langen Weile kam Urban und berichtete von Motorproblemen an der KNEPTA. Nach einer noch längeren Weile kam Friedhelm. Uwe blieb weg.
Ich traute mich unterdessen nicht, den Motor abzustellen und das Kettenhinterrad zu montieren, aus Angst, ihn nicht wieder an zu bekommen. Der Einzige, der mir Starthilfe geben hätte können, wäre Uwe gewesen, aber die KNEPTA hatte eigene Probleme und war weit weg.
Vom Keltendorf kamen Henning, Uwe D. und Britta sowie Aynchel und Lotte mit drei Gespannen an der Maut vorbeigeflogen Richtung oben. Dann war es wieder still.
Urban sagte irgendwann, es sei sinnvoll, KNEPTA zur Hilfe zu kommen. Also entschied ich mich, es nochmal ohne Kette zu versuchen. Das war ja eh der ursprüngliche Plan. Ich fuhr als erster los von uns dreien und schaffte es weiter, als ich dachte. Immer den Motor auf Zug halten, so wenig Schlupf am Hinterrad wie möglich, und ja nicht den Schwung verlieren. Viel Körpereinsatz, mal um dem Vorderrad linksrum bei der Richtungsfindung zu helfen, dann wieder links neben dem Fahrzeug hängend, um Traktion auf das Hinterrad zu bekommen und eh überwiegend im Stehen. Kurz oberhalb der ersten Rechtskurve nach der Flachstelle finde ich mich wegen zu viel Schwung rechtsrum in Verbindung mit zu wenig Führung am Vorderrad plötzlich in vier Uhr Stellung mit dem Vorderrad in der rechten Schneewächte wieder und Urban braust nach oben vorbei. Jetzt ist nur noch Friedhelm hinter mir.
Ich schaffe das Motorrad aus der Schneewehe und zerre es mehr, als ich schiebe in Anfahrposition. Mein linker Fuss schmerzt wie Hölle, den habe ich völlig ignoriert und überlastet. Wegen meines Asthma bin ich ziemlich ausgepowert. Das kommt davon, wenn man einfach nicht einsehen will, das man eigentlich zu alt ist, für den Scheiss, und statt dessen so tut, als sei man Ende zwanzig und unverwundbar. Weil Jammern nicht glücklich macht lass ich es lieber und fahre an, was tatsächlich auf Anhieb gelingt. Ich denk mir "wenn Du das hinbekommst, dann schaffst Du auch den Rest des Weges und turne frohen Mutes weiter.
Etwa einen guten Kilometer weiter ist Schluss. Kurz hinter einer Linkskurve, in der ich zu viel Tempo verloren habe, um nicht in der rechten Wächte zu landen, genügt die Traktion am Hinterrad nicht mehr, und ich bleibe stecken. Ich gebe Alles, um das Gespann wieder neunzig Grad zur Fahrbahn zu stellen, um rund um den Beiwagen herum anfahren zu können. Es gelingt mir drei Mal, aber ich komme einfach nicht in Schwung. Ich bin völlig ausser Atem und beginne zu hyperventilieren, da kommt Friedhelm um die Kurve geflogen und versucht mir auszuweichen, was ihn in die linke Wächte maneuvriert. Mist. Jetzt steckt er auch noch wegen mir Simbl fest ...
Wir versuchen zu zweit, zuerst sein Mopped zu befreien und auf Anfahrposition zu parken, danach will Friedhelm mir beim Losfahren schiebend helfen, da kommt ein Wiener Russengespann herab. Der Fahrer sagt: "Wenn Du da schon stecken bleibst, dann schaffst Du das eh NIE nach oben. Du hast doch da a Radl mit einer Ketten, warum gibst des net drauf? Bist zu faul dazu?"
Ich liebe Menschen, die mich aufbauen wollen.
Friedhelm versucht nochmal, mich anzuschieben. Auch dieser Versuch scheitert und ich beschliesse, ins Tal zu fahren, und an der Mautstation die Kette aufzulegen. Hoffentlich stirbt der Motor nicht ab. Am Weg nach unten läuft die Rennschnecke plötzlich nur mehr auf einem Zylinder. Das legt sich, nachdem ich auf Reserve umstelle. Fünf Liter Reservesprit führe ich im Kanister mit. Die werde ich nach Montage des Ketten-Hinterrades einfüllen. Ich fahre geruhsam zur Mautschranke runter.
Kurz vor der Kehre links rum vor der Mautschranke fährt ein Rodler am linken Fahrbahnrand. Ich will rechts an ihm vorbei. Was ich nicht weiss ist, dass er geradeaus weiter will und nicht zur Maut. Er zieht immer weiter nach rechts, ich infolgedessen auch und zack stecke ich rechts in einer Wächte und komme weder vor, noch zurück. Das Hinterrad gräbt nur noch Richtung Erdmittelpunkt und ich bekomme das Vorderrad nicht herumgezogen. Während ich noch wie ein Ochse an meinem Vorderrad rumreisse, fährt der Wiener grusslos an mir vorbei. Wahrscheinlich hält er mich für einen Depp, weil ich schlecht ausgerüstet bin und noch dazu an so einer Stelle rechts in der Wächte hänge. Mit der Einschätzung, dass ich ein Depp bin, gebe ich ihm aus anderen Gründen völlig recht. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende, da geht mein Motor aus. Ich drücke den Anlasser, aber es schaltet nur mehr das Relais. Es ist still um mich herum, mitten im Sturm ...
Wenn ich meine Situation nüchtern betrachte schaut es so aus:
Hinter mir ist niemand mehr unten. Ich kann nicht mehr mit zufälligen Passanten rechnen bei dem Sturm.
Mein Motorrad steckt in einer Schneewehe und ich bekomme es ohne Hilfe nicht heraus. Der Motor lässt sich nur mit fremder Hilfe starten, selbst wenn ich es herausbekomme. Na gut, vielleicht langt der Weg, um es anrollen zu lassen, wenn es erst Mal frei wäre ...
Von der Hütte trennen mich knappe 500 Höhenmeter, das ist mit 50% Lungenvolumen und Asthma mindestens ein unkalkulierbares Risiko. Selbst die vielleicht zwei Kilometer von hier bis an den Parkplatz in Hohentauern sind, verschwitzt wie ich bin schon eine große Anstrengung für mich. Die würden jedoch bedeuten, dass ich mein Motorrad halb an der Fahrbahn in einer Schneewehe unbeleuchtet zurücklassen muss. Es schneit und stürmt. Wer weiss, ob das Trumm morgen überhaupt zu sehen ist, und rund um mich herum fangen Bäume an, bedrohlich im Wind zu knarren, und große Schneelager abzuwerfen. Mein Fuss schmerzt wie blöde, was die Situation nicht erträglicher macht. Ich merke, dass ich beginne mich in die Ausweglosigkeit der Situation hineinzudenken, und beschliesse, Hilfe zu erbitten.
Ich rufe auf der Hütte an und werde mit Thoeny verbunden, die mich an den GatschHupfa weiterreicht. Der will aus naheliegenden Gründen (die Mautstraße ist quasy nicht mehr befahrbar, jedenfalls nicht ohne Risikio) nicht mehr mit der Solo ins Tal kommen, was völlig richtig ist, organisiert mir aber Uwe Düllmann, Britta und Henning, die mit zwei Ural Gespannen zur Hilfe kommen. Nach etwa 45 Minuten sind sie da und ich bin mittlerweile völlig durchgefrohren und habe einen auf unerträgliche Größe angeschwollenen linken Fuß. Uwe zieht mich am langen Seil aus der Schneewehe. Nach kurzer Beratung entscheide ich, in meinem Zustand einen erneuten Angriff auf den Berg nicht mehr zu versuchen, zumal nicht sicher ist, ob ich es mit dem Schneekettenhinterrad geschafft hätte.
Wir bringen die Rennschnecke nach Hohentauern. Selbst das hat sie aus eigener Kraft und ohne Uwes Hilfe nicht geschafft. Tausen Dank Uwe Düllmann!
In Hohentauern steige ich in den Land Rover um und fahre hinter Uwe, Britta und Henning den Berg wieder hoch. Selbst der Landrover schafft das nicht völlig ohne Schwierigkeiten.
Wenigstens kann ich an der Hütte berichten, dass ich es ohne Kette geschafft habe. Ohne Differentialsperre wäre jedoch selbst das nicht gelungen ...
... keine Heldentat.
Am nächsten Morgen hat sich der Zeltplatz schon sehr gelichtet. Ich bin frustriert wegen meines nächtlichen Erlebnisses und entscheide, heim zu fahren. Mit dem Auto zur Hütte, weil ich das Motorrad nicht sauber vorbereitet habe, das ist mir peinlich.
Leider konnte ich mich von vielen lieben Leuten nicht verabschieden und auch nicht wie gewohnt beim Aufräumen helfen. Ich war aber froh, überhaupt meinen linken Fuss wieder in einen Schuh zu bekommen. Bei der kurzen Abschiedsrunde erfuhr ich, das Dreckbratzerichs Motor die Mitarbeit verweigert und bot ihm an, als Plan B zur Repparatur, die grade versucht wurde, sein Gespann zu meinem zu laden und ihn heimzuführen. Unten im Tal vermisste dann Christa ihren Zündfunken. Die musste mit ihrem Gespann nach Admont.
Also luden wir zunächst Christas Gespann zur Rennschnecke dazu auf meinen Hänger, Dann zog ich den Motorlosen Dreckbratze in Hohentauern den Berg hoch zum Parkplatz, lieferte Christa nebst Gespann in Admont ab und holte Achim nebst Gespann wieder in Hohentauern ab. Henning und Frank standen schon hilfsbereit zum Verladen zur Verfügung. Danke Henning und Frank! Ihr wart wirklich Vorbilder an Hilfsbereitschaft, jedes Mal, wenn jemand gefregt hat!
Mit Achim am Beifahrersitz und zwei Gespannen am Hänger ging es dann durch ein verschneites und vereistes, stürmisches Bayern ins Elchsloch, wo wir nachts um eins erst ankamen, Auto und Anhänger gut gepökelt, der Lack mehr hellgrau-weiss, denn schwarz und rechtschaffen müde.
Ein tolles TT. Bislang für mich das schwierigste überhaupt.
Danke an alle, die dieses geniale Treffen ermöglichen!